»Mut und Demut«
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Demut macht Arbeit - Inwieweit Demut eine »christliche Haltung« ist
Vor gar nicht so langer Zeit schien das Wort Demut noch im Orkus verzopfter, nicht mehr benutzter Wörter zu versinken. Inzwischen hat es eine erstaunliche Konjunktur.
»GOTT WIDERSTEHT DEN HOCHMÜTIGEN, DEN DEMÜTIGEN ABER GIBT ER GNADE «
– lautet ein bekannter Satz aus dem 1. Petrusbrief im Neuen Testament. Hochmut und Demut. Fast aufdringlich drängen sich diese beiden Worte hier nach vorne. Dazu ein hübsches Apercu. Ein Theologiestudent fragt seinen Professor: »Herr Professor, können Sie mir ein gutes Buch über das Thema Demut empfehlen?« Der Theologieprofessor, ein hoch angesehener Mann, legt seine Stirn bedenklich in Falten und überlegt eine Weile.
»Hm«, sagte er dann, »zu dem Thema sieht es in der Theologie dünn aus, da fällt mir nichts Gutes ein.« Bis plötzlich seine Miene zu einem Strahlen mutiert: »Doch, ein gutes Buch gibt es über die Demut – meines!« Diese kleine Szene hat sich tatsächlich so zugetragen, vor einigen Jahrzehnten an einer deutschen theologischen Fakultät. Sie ist zu einem stehenden Theologen-Kalauer geworden.
Wer seinen Kopf ziemlich hoch trägt, läuft Gefahr, als hochmütig, abgehoben verschrien zu werden. Jedenfalls unter Christen. »Ein Herz, das Demut liebet, bei Gott am höchsten steht. / Ein Herz, das Hochmut übet, mit Angst zugrunde geht«, heißt es in einem Adventslied (EG 10,3). Das leuchtet sofort ein, wie die Lebensweisheiten auf Kalenderblättern. Aber Vorsicht an der Bahnsteigkante!
»Gott widersteht den Hochmütigen, den Demütigen aber gibt er Gnade«: Dieser biblische Satz ist gar keine so selbsterklärende Allerweltsweisheit à la »Hochmut kommt vor dem Fall«. Will man ihn ernst nehmen, muss man sein Subjekt ernst nehmen. Also Gott. Er widersteht den Hochmütigen. Nicht wir.
Man sollte deshalb diese beiden aufdringlichen Worte Hochmut und Demut nur insoweit beachten, als diese auf Gott selbst aufmerksam machen. Und auf den Grund in seinem Herzen, der uns verrät, was die Worte Hochmut und Demut eigentlich bedeuten.
Die Gemeinde der Christen ist zuerst und vor allem anderen eine österliche Gemeinde. Ohne Ostern gäbe es sie gar nicht. Deshalb feiert sie am ersten Tag der Woche, an dem Jesus auferstand, Gottesdienst. Eine Gemeinde, die die Auferstehung Jesu feiert, ist eine aufgerichtete Gemeinde. Das heißt: Christen haben Grund, erhobenen Hauptes unterwegs zu sein.
»Ich schäme mich des Evangeliums nicht« (Röm 1,16), schreibt Paulus selbstbewusst an die Christen in Rom. Recht hat er. Es ist aber das eine, wenn man dankbar über die Siegesbotschaft »Der Herr ist auferstanden!« erhobenen Hauptes unterwegs ist. Es ist etwas sehr anderes, wenn man den Kopf dabei so hoch trägt, dass man ihn irgendwann gar nicht mehr nach unten kriegt.
Es gibt eine solche Genickstarre auch geistlich. Wer ständig mit erhobenem Haupt durch die Welt geht, läuft Gefahr, irgendwann nicht mehr wahrzunehmen, was unten ist. Und merkt dann gar nicht, dass man den Boden unter den eigenen Füßen mit anderen teilt. Unversehens tritt man dann dem anderen in seiner Nähe auf die Füße. Und merkt nicht einmal das, weil man in seinem Hochmut ja so nach oben fixiert ist.
Ein Christ, die sich der Auferstehung Jesu freut, also mit Grund erhobenen Hauptes unterwegs ist, ist deshalb gut beraten, seinen Blick gleichwohl nach unten zu richten. Klingt paradox, ist es aber nicht. Denn Glaubensmut lebt auch von der Demut der Solidarität. Martin Luther hat es in einem berühmten Doppelsatz, der beides zugleich ist, mutig und demütig, so ausgedrückt:
»EIN CHRISTENMENSCH IST EIN FREIER HERR ÜBER ALLE DINGE UND NIEMANDEM UNTERTAN.
EIN CHRISTENMENSCH IST EIN DIENSTBARER KNECHT ALLER DINGE UND JEDERMANN UNTERTAN.«
Das ist kein paradoxer Satz! Er will sagen: Ein Christ braucht nicht mit eingezogenem Kopf zwischen den Schultern durch die Welt schleichen, sondern mit aufrechtem Gang und erhobenem Haupt, weil er sich, wie Paulus, seines Glaubens nicht schämen muss. Deshalb ist er »ein freier Herr über alle Dinge«.
Aber dieser Glaubensmut führt eben nicht dazu, dass Christen sich von der Erde in den Himmel wegträumen, sondern erst recht hellwach und offenen Auges sind für die, die mit ihnen auf der zerfurchten Erde leben. Deshalb ist ein Christ »dienstbarer Knecht aller Dinge«.
Uns selbstbewusst unseres Glaubens freuen heißt also: Ja sagen zum Boden unter unseren Füßen und damit auch Ja zu denen, die auf diesem Boden neben uns unterwegs sind. Denn auf diesem Boden unter unseren Füßen war ja, in Jesus, Gott selbst unterwegs. Seither ist aller irdischer Boden sozusagen heiliges Land. Es wäre Hochmut gegen Gott selbst, wenn wir das Leben auf dieser Erde mit seinen Anforderungen gering achten würden.
Wer – wie das in manchen christlichen Gruppen eine geistliche Tendenz ist – den Sinn des Lebens nur im Himmel sucht und gar nicht mehr auf der Erde, nur im sog. Seelenheil: der nimmt andere Menschen nicht mehr wirklich ernst. Die Augen so monoman nach oben gerichtet haben, dass man vor lauter Genickstarre nicht mehr die Erde unter sich sieht: eine solche Arroganz gegen den an Weihnachten in unsere Tiefe gekommenen Gott vergreift sich am Menschen.
Der 1. Petrusbrief warnt uns vor dieser Arroganz gegen Gott, der als Mensch unter Menschen gelitten hat. Stattdessen sollen wir, wie es dort wenige Sätze weiter heißt, »die Schürze der Demut anziehen«.
Jesus hat, um Gottes Demut anschaulich, spürbar zu machen, seinen Leuten die Füße gewaschen. Dass wir uns mit Demut wie mit einer Arbeitsschürze kleiden sollen, diese Wendung erinnert ein wenig an diese Fußwaschung. Auf jeden Fall wird damit der Umgang der Christen mit ihren Nächsten sehr nüchtern mit Arbeit in Verbindung gebracht. Ja, Nächstenliebe kann harte Arbeit machen.
So möchte ich Demut (ohne das »Geschmäckle«, das diesem Wort in manchen christlichen Kreisen anhaftet) verstehen: als die manchmal mühsame Arbeit, das Leben von Menschen, die mit uns irgendwie verwoben sind, in seinem ganzen Gewicht zu ertragen.
Und manchmal, wenn die Not groß ist, auch einfach mit zu tragen. Auch das gehört zur harten Arbeit der Demut: dass ich da, wo sich zwischen mir und einem anderen ein Abgrund auftut, zupacke und in Gottes Namen versuche, ihn über den Abgrund zu tragen.
Und sei es stöhnend und ärgerlich. Und andersherum gehört auch das zur Arbeit der Demut, dass ich meinen Nächsten auch mal anhalte und ihm klar die Meinung sage. So nehmen Menschen einander ernst. Den Anderen in seinem Anderssein (er)tragen, gelten lassen, das ist die Arbeit der Demut, die Gott von uns allen erwartet. Und was Gott von allen Menschen erwartet, das mutet er erst recht denen zu, die sich nach ihm nennen.
Auch der Umgang der Christen miteinander ist ja kein Kinderspiel. Die Meinung Andersdenkender in der Kirche zu ertragen und notfalls sogar über Abgründe hinweg zu tragen (man denke an die manchmal unglaublich schmerzhaften, verletzenden Auseinandersetzungen um den Umgang mit queeren Menschen), kirchliche und theologische Konflikte nicht in einer faden »Wir haben uns alle lieb«-Soße zu verrühren, sondern ehrlich und ernsthaft auszutragen, aus einer Haltung, dass auch der Andersdenkende und -lebende da und dort Recht haben könnte: das ist Demut, und dem der sie tut, verspricht Gott Gnade.
Das heißt, dem gibt Gott von oben Kraft und Ausdauer nach unten. Von dieser Arbeitskraft, die nicht aus uns selbst kommt, lebt der Glaube. Und mit ihr entdeckt er überall Menschen, die darauf angewiesen sind, dass wir, bei allem Glaubensmut, mit ihnen gemeinsam oder, wenn sie nur noch stumm sein können, einfach für sie »Kyrie eleison« rufen:
HERR, ERBARME DICH!
Pfarrer MARKUS ENGELHARDT
Frauenkirchenpfarrer