»Mut und Demut«

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Zwischen Mut und Demut: Der Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge als Zeichen jüdischer Sichtbarkeit

Immer wenn ich am leeren Joseph-Carlebach-Platz im Grindelhof vorbeigehe und das Mosaik betrachte, das die Umrisse der zerstörten Bornplatzsynagoge abbildet, bleibt mein Blick daran haften. Ich halte inne, weil ich es nicht anders kann. In meinem Kopf entsteht das Bild dessen, was hier einst war – und was wieder sein könnte: die viertgrößte jüdische Gemeinde Deutschlands, Menschen, die zum Gebet zusammenkommen, ein Ort des Glaubens und des Miteinanders, der sichtbar und selbstverständlich zum Stadtbild Hamburgs gehört.

Doch stattdessen sehe ich Hundebesitzer, spielende Kinder, ahnungslose Passanten und überfüllte Mülleimer. Kaum jemand in Hamburg weiß, für was dieser Platz einst stand und bis heute steht, hält an den Infotafeln inne oder betrachtet das Mosaik mit der Ehrfurcht, die dieser Ort verdient.

Bis 1988 – ganze 50 Jahre nach der Zerstörung – war dieser Platz ein Parkplatz. Erst dann wurde er von »Bornplatz« in »Joseph-Carlebach-Platz« umbenannt, um an den letzten Oberrabbiner Hamburgs zu erinnern, der 1942 mit seinen Schülern nach Riga deportiert und ermordet wurde. In Jahr 1988 wurde auch eine Gedenktafel angebracht, die mahnend verkündet:

»Möge die Zukunft die Nachfahren vor Unrecht bewahren.«

Nach den Entwürfen von Bernhard Hirche und Margrit Kahl entstand zudem ein Mosaik, dessen Granitsteine das frühere Deckengewölbe im Originalmaßstab nachzeichnen – ein stilles Mahnmal inmitten der Stadt. Seit 2004 gibt es eine weitere freistehende Gedenktafel, die auf Vorder- und Rückseite über die Geschichte der Synagoge und des Gedenkortes informiert.

Doch wie still darf Erinnerung sein? Wie lange soll ein Ort der Zerstörung nur ein Symbol bleiben, anstatt wieder ein Ort des Lebens zu werden? Als Vorsitzende des Verbands Jüdischer Nord setze ich mich tagtäglich für jüdisches Leben in Deutschland ein – und für mich ist der Wiederaufbau der Bornplatzsynagoge weit mehr als nur ein Bauprojekt. Er ist eine Botschaft: Jüdisches Leben gehört in die Mitte der Gesellschaft !

Gerade seit dem 7. Oktober 2023, in einer Zeit, in der jüdisches Leben in Deutschland so bedroht ist wie lange nicht mehr, in der Gemeinden unter verstärktem Polizeischutz stehen und jüdische Einrichtungen mit antisemitischen Parolen beschmiert oder gar mit Steinen beworfen werden und viele Jüdinnen und Juden sich zweimal überlegen, ob sie überhaupt den Weg zur Synagoge auf sich nehmen. Ich habe schon seit meiner Kindheit gelernt zu vermeiden eine Davidsternkette in der Öffentlichkeit zu tragen und mir fast schon auszusuchen, mit wem ich teile, dass ich jüdisch bin oder nicht.

Als in Deutschland lebende Jüdin habe ich oft das Gefühl, einen unsichtbaren, schweren Mantel zu tragen, den ich in einigen Situationen zwar ablegen kann, aber aus Unsicherheit und Vorsicht oftmals lieber anlasse. Es tut weh, einen so zentralen Teil meiner Identität verbergen zu müssen, weil ich nicht sicher sein kann, wie mein Gegenüber darauf reagiert.

Der 7. Oktober hat diese Mechanismen in mir verstärkt, gleichzeitig stehe ich als Vorsitzende eines jüdischen Studierendenverbandes in der Öffentlichkeit und versuche das junge gegenwärtige jüdische Leben in Deutschland nach außen zu repräsentieren.

Seit dem 7. Oktober gab es viele Momente, in denen ich mich allein gefühlt habe. Allein mit meiner Wut, meiner Angst, meiner Enttäuschung. Dabei wurde mir jedoch auch schnell bewusst, dass es jetzt mehr denn je darauf ankommt, mit Demut und Mut meine Stimme verantwortungsvoll für den Wiederaufbau der Bornplatz-Synagoge in die Gesellschaft einzubringen.

Aktuell befindet sich die neue Synagoge in Hamburg in einem unscheinbaren, grauen Neubau in einer ruhigen Seitenstraße – ein Ort, der von vielen Hamburger:innen nicht einmal als Synagoge erkannt wird. Immer wieder erlebe ich in Gesprächen, dass Menschen überrascht sind, wenn ich ihnen von der bestehenden Synagoge berichte und auf Nachfrage den Stadtteil nenne, der sich mitten in der Stadt befindet.

Ich gehe weiter ins Detail und benenne, dass die Seitenstraße, in der sich die aktuelle Synagoge befindet aus Sicherheitsgründen nicht befahrbar ist. Manche Autofahrer oder Fußgänger erinnern sich einzig und allein durch dieses von mir erwähnte Detail und sind fast schon peinlich berührt, wenn sie erst durch meine ausführliche Erklärung aufgeklärt werden.

So witzig die Situation im ersten Moment erscheinen mag, führt sie mir jedes Mal schmerzlich vor Augen, wie unsichtbar jüdisches Leben in der Mehrheitsgesellschaft ist und wie beschämend es doch eigentlich ist, dass es in einer Seitenstraße stattfindet, die aus Sicherheitsgründen für den Verkehr gesperrt werden muss und zusätzlich von der Polizei bewacht wird.

Gleichzeitig erleben wir in unserer Gesellschaft, dass Antisemitismus zunehmend für politische Agenden instrumentalisiert – teilweise geleugnet, relativiert oder ausschließlich dann anerkannt wird, wenn es ins eigene Narrativ passt. Wenn Synagogen beschmiert werden, Jüdinnen und Juden körperlich angegriff en werden oder das größte Massaker seit der Shoah verübt wird, bleiben unsere Straßen häufig leer.

Jüdinnen und Juden wird aufgrund dieses gesellschaftlichen Klimas häufiger das Recht abgesprochen, selbst zu definieren, wann sie von Antisemitismus betroffen sind. Viele fragen sich in solchen Momenten, wo ihr Platz in der Gesellschaft überhaupt ist. Es erfordert enormen Mut, insbesondere seit dem 7. Oktober, gegen diese Ignoranz der Mehrheitsgesellschaft anzukämpfen und dabei zu sehen wie die Worte »Nie wieder!« drohen zu einer leeren Floskel zu verkommen – gerade jetzt, wo es wichtiger denn je ist, Worte mit Taten zu füllen.

Die Bornplatzsynagoge war einst ein imposantes Bauwerk, ein stolzes Symbol des jüdischen Lebens in Hamburg. Ihr Wiederaufbau wäre mehr als ein architektonisches Vorhaben – er wäre eine entschlossene Antwort auf das jahrzehntelange Unsichtbar machen jüdischer Geschichte und Gegenwart. Es ist an der Zeit, dass jüdisches Leben nicht nur erinnert, sondern sichtbar und selbstbewusst mitten im Herzen Hamburgs gelebt wird.

REBECCA VANEEVA,
24 Jahre alt, stammt aus Hamburg und
studiert Sozialökonomie mit dem Schwerpunkt Soziologie.
Sie ist Präsidentin des VjsNord e. V. und
engagiert sich für die Interessen jüdischer
Studierender und junger Erwachsener.