»Mut und Demut«

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Mut und Demut gehören zusammen

IM GESPRÄCH MIT PROF. DR. DR.-ING. HANS MÜLLER-STEINHAGEN

Prof. Hans Müller-Steinhagen, Diplom-Maschinenbauingenieur und promovierter Verfahrenstechniker, war von 2010 bis 2020 Rektor der TU Dresden. Er erhielt 2021 das Bundesverdienstkreuz für seinen Beitrag zur Exzellenz der Universität und sein Engagement in der Stadtgesellschaft. Seit 2023 ist er Ehrensenator der TU Dresden und war zuvor britischer Honorarkonsul in Sachsen.

Gab es während Ihrer zehnjährigen Amtszeit als Rektor der TU Dresden Situationen, die von Ihnen Demut gefordert haben?

Ja, natürlich. Wobei Demut für mich nicht Unterwürfigkeit oder bloße Schicksalsergebenheit bedeutet, sondern die Einsicht, die eigenen Grenzen zu erkennen und zu akzeptieren, dass nicht alles immer nach Wunsch verläuft. Solche Momente gibt es sowohl im privaten als auch im beruflichen Leben. Dann ist es wichtig, innezuhalten, nachzudenken und gegebenenfalls die eigenen Pläne anzupassen oder sogar aufzugeben. Doch das bedeutet keineswegs Rückzug. Vielmehr geht es darum, Chancen zu erkennen und den Mut aufzubringen, sie zu ergreifen – auch wenn sie mit Herausforderungen und Risiken verbunden sind. Mein Ziel war es immer, aktiv zu gestalten – sowohl mein Leben als auch mein Umfeld.

Diese Einstellung setzt eine gewisse Entwicklung voraus. Wer oder was hat Sie auf diesem Weg geprägt?

Ich komme aus einer Familie, die beruflich selbstständig war und immer wieder mutige Entscheidungentreffen musste. Meine Eltern haben es akzeptiert, dass ich meine eigene Berufswahl getroffen habe und anschließend keinen vorgezeichneten und sicheren Berufsweg eingeschlagen habe. Dafür bin ich ihnen überaus dankbar. So kam die Entscheidung, Maschinenbau zu studieren, nach meiner Promotion nach Kanada zu gehen und später Stellenangebote der deutschen Industrie abzulehnen, um stattdessen akademische Positionen erst in Neuseeland und dann in England anzunehmen. Das erforderte Mut, aber auch Demut, denn ich musste mich jedes Mal in neue Kulturen, Wissenschaftssysteme und Lebensumstände einfinden.

Motiviert hat mich dazu der feste Glaube an den Wert von Wissen und Bildung, den mein Doktorvater an der Universität Karlsruhe und mein Betreuer an der University of British Columbia mir übermittelt haben. Nach 16 Jahren an Universitäten im englischsprachigen Ausland übernahm ich dann im Jahr 2000 Leitungsaufgaben am Deutschen Zentrum für Luft und Raumfahrt und 10 Jahre später das Amt des Rektors an der Technischen Universität Dresden. Mit wachsender Verantwortung habe ich gelernt, wie entscheidend Respekt, Vertrauen und ein würdevoller Umgang mit Menschen sind. Eine Institution kann sich nur weiterentwickeln, wenn die Leitung bereit ist, zuzuhören und unterschiedliche Perspektiven ernst zu nehmen.

In meiner Tätigkeit als Rektor der TU Dresden kam die gesellschaftliche Verantwortung hinzu, die man als Leiter einer so großen Organisation mit über 9.000 Mitarbeitenden und 30.000 Studierenden hat. Dazu gehört für mich auch das sichtbare Engagement für Weltoffenheit und für Toleranz, beispielsweise durch die jährliche Versammlungsleitung der Menschenkette zum Gedenken an die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 1945 oder die Teilnahme an Versammlungen zur Unterstützung unserer demokratischen Grundwerte.

Ihr öffentliches Eintreten für Vielfalt, Weltoffenheit und Demokratie wurde weit über Dresden hinaus wahrgenommen. Damit waren Sie für viele Menschen ein Vorbild. War dazu Mut erforderlich?

In dem Moment selbst habe ich das gar nicht so empfunden. Ja, es gab Drohbriefe und kritische Stimmen, aber ich habe mich nie ernsthaft bedroht gefühlt. Das eigentliche Risiko bestand eher darin, dass an der TU Dresden, in der Landespolitik oder in meinem privaten Umfeld die Meinung entstehen könnte, eine derart öffentliche Positionierung sei unangemessen und für die Universität nachteilig. Denn es war nicht immer möglich, meine Person und mein Amt vollständig voneinander zu trennen. Dabei habe ich mich stets bemüht, auch mit Andersdenkenden einen respektvollen Dialog zu wahren. Letztlich habe ich viel Unterstützung erfahren, gerade auch von Mitarbeitenden und Studierenden der TU Dresden. Das zeigt, dass man mit Mut und Standhaftigkeit positive Impulse setzen kann.

Menschen brauchen Vorbilder, an denen sie sich orientieren kann. Das erfordert Haltung und Mut. Das haben Sie auch bei der Bewerbung der TU Dresden um den Exzellenzstatus bewiesen – ein durchaus ambitioniertes Projekt. Wie kamen Sie zu der Überzeugung, dass die TU Dresden das Potenzial dazu hat?

Eigentlich war das alles nicht so geplant. 2010 leitete ich eines der erfolgreichsten und größten Institute im Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt, mit unglaublich spannenden Forschungs- und Entwicklungsprojekten zur nachhaltigen Energieversorgung und mit weltweiten Kooperationen. Während der Begutachtung eines Forschungsinstituts in Saudi-Arabien erhielt ich dann einen Anruf von Frau Gunda Röstel, der damaligen Hochschulratsvorsitzenden, mit der Frage, ob ich mir vorstellen könnte, Rektor der TU Dresden zu werden. Ich kannte Dresden und die Technische Universität nur von wenigen kurzen Besuchen. Aber die Position war eine interessante und herausfordernde Möglichkeit, in noch größerem Umfang gestalterisch tätig zu sein und zur Wissensgewinnung beizutragen.

Also habe ich mich beworben, vorgestellt und wurde wenige Monate später auch tatsächlich vom Erweiterten Senat gewählt. Dann musste alles sehr schnell gehen, denn die TU Dresden hatte sich nach der erfolglosen Bewerbung im Jahr 2003 erneut auf den Weg gemacht, einen Antrag im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder einzureichen. Dabei ging es ja nicht nur um etwa 60 Millionen Euro an zusätzlichen Fördermitteln für Spitzenforschung und strategische Veränderungen, sondern vor allem um die Stärkung der Reputation und internationalen Sichtbarkeit der Universität.

Mir war klar, dass wir den Mut aufbringen mussten, uns diesem Wettbewerb zu stellen – die Chance würde wahrscheinlich nicht wiederkommen und mehr als scheitern konnte es nicht. Und natürlich es ist es nicht der Rektor allein, der eine Universität zur Exzellenzuniversität macht. Ich konnte ermutigen, koordinieren, Erfahrungen einzubringen und Rahmenbedingungen schaffen. Doch letztlich sind es die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Technik und Verwaltung, die durch ihr Engagement Exzellenz möglich machen, und natürlich die vielen Studierenden, die uns immer auf Neue zum Nachdenken motivieren.

Ich hatte das große Glück, dass ich auf so viele tolle Menschen an der TU Dresden und bei den außeruniversitären Forschungsinstituten getroffen bin, die bereit waren, mit mir diesen Weg zu gehen. Dabei ich konnte meine Erfahrungen in den angelsächsischen Universitäten und aus zehn Jahren als Direktor eines großen außeruniversitären Forschungsinstituts mit immerhin 250 Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen einbringen. Die Anträge für die Forschungscluster und für die Gesamtstrategie der Universität mussten bereits 6 Wochen nach meinem Amtsantritt. am 18. August 2010 eingereicht werden.

Natürlich waren schon erhebliche Vorarbeiten geleistet worden; manchmal waren das fast fertige Dokumente, teilweise aber auch nur umfangreiche Ideensammlung ohne logische Struktur. Ich habe deshalb beim DLR meinen Jahresurlaub genommen und bin bereits in den Monaten vor meinem Amtsantritt fast wöchentlich für 2-3 Tage nach Dresden gefahren, um mit Kollegen und Kolleginnen, die ich anfangs gar nicht kannte, das Projekt »Exzellenzanträge« voranzutreiben.

Diese gemeinsame Aktivität erforderte viel Abstimmungs- und Überzeugungsarbeit, denn ich war – auch als gewählter Rektor – eben »der Neue«, der viele interne Themen noch nicht kannte. Da hilft nur, mit den Menschen zu reden, auf ihre Vorschläge zu hören und ihre Bedenken ernst zu nehmen. Ich habe in diesen Monaten unglaublich viel über die TU Dresden gelernt und mein akademisches Herz an diese Universität verloren. Zwei Jahre und zahlreiche weitere Anträge und Begutachtungen später erhielt die TU Dresden erstmals den Exzellenzstatus und die dazugehörigen Fördermittel – ein entscheidender Schritt in ihrer Entwicklung zu einer international anerkannten Spitzenuniversität.

Wenn man über einen so langen Zeitraum an einem so ambitionierten Projekt arbeitet, erlebt man sicher auch Rückschläge. Manches geht nicht schnell genug, nicht alles gelingt, und auch die Motivation schwankt bei den Beteiligten. Zudem gibt es immer auch Unwägbarkeiten, mit denen man zurechtkommen muss. Was hat Sie motiviert, trotz dieser Herausforderungen dranzubleiben?

Natürlich gibt es Rückschläge und nicht jede Veränderung ließ sich so schnell oder umfassend umsetzen, wie ich es mir gewünscht hätte. Von Natur aus bin ich eher ungeduldig – das habe ich schon bei meiner Bewerbung an der TU Dresden offen gesagt. Dennoch habe ich nie die Motivation verloren, mich für die Universität und die Stadt Dresden einzusetzen. Für meine Frau und mich war die Ankunft an der TU und in dieser Stadt die Erfüllung all dessen, worauf wir uns die ganzen Jahre im In- und Ausland vorbereitet hatten.

Wir sind hier so wunderbarbar aufgenommen worden, nicht nur an der Universität, sondern auch in der Stadt, dass wir nach ganz kurzer Zeit beschlossen haben, unseren Lebensmittelpunkt hierher zu verlegen und das wird auch so bleiben. Internationale Gutachter für die Exzellenzinitiativ haben 2012 den Ausdruck »Dresden Spirit« geprägt, als sie feststellten, dass sie eine derart intensive und positive Zusammenarbeit innerhalb der Universität und mit den außeruniversitären Forschungsinstituten an keinem anderen Universitätsstandort in Deutschland erlebt hatten.

Dieser Geist hat auch mich motiviert. Ich kann mit voller Überzeugung sagen, dass ich während meiner gesamten Amtszeit als Rektor nie aus Eigeninteresse gehandelt habe, sondern stets das Wohl der Universität und ihrer Angehörigen als Ziel hatte. Die TU Dresden ist eine herausragende Universität, Teil eines exzellenten Wissenschaftsstandorts und mit einem großartigen Universitätsklinikum!

Die Zusammenarbeit an der TU Dresden war von einem starken Willen geprägt, das Ziel »Exzellenz« zu erreichen. Rückschläge und Probleme gehören sicherlich dazu. Doch oft bleibt das Positive, das Gelungene und das Schöne im Alltagsgeschäft oder in starren Strukturen unbemerkt. Sich mit so viel Engagement, Ideenreichtum und Qualität für ein so großes Projekt einzusetzen, ist keine Selbstverständlichkeit. Was hat aus Ihrer Sicht den Unterschied gemacht?

Vielleicht war ich einfach zur rechten Zeit am richtigen Ort. Vielleicht lag es aber auch daran, dass ich von außen kam und meine Ideen relativ unbeschwert einbringen konnte. Sicherlich haben mir auch die Erfahrungen aus meinen vorherigen beruflichen Stationen geholfen – akademisch, administrativ wie auch kommunikativ. Immer wieder habe ich erlebt, dass intellektuelle Intelligenz zwar eine Grundvoraussetzung für die Leitung einer wissenschaftlichen Organisation ist, dass es aber auch ein gehöriges Maß an emotionaler Intelligenz benötigt, um diese Organisation mit Ihren Menschen erfolgreich in die Zukunft zu führen. Diese Kombination aus fachlicher Exzellenz und menschlicher Verantwortung habe ich versucht weiterzugeben. Menschen brauchen nicht nur eine Vision, sondern auch das Vertrauen, dass ihre Arbeit geschätzt wird.

Und genau dieses Vertrauen ermutigt Menschen, sich einzubringen, sich zu engagieren und diesen Weg mitzugehen. Vielen Dank für diesen Einblick, auch zu Ihrer persönlichen Haltung und Ihren Werten. Es braucht Mut voranzugehen, mutige Entscheidungen zu treffen und sich auch auf unbekanntes Terrain zu wagen. Wenn es eine Person gibt, die sagt »Los, wir machen das zusammen, gemeinsam bekommen wir das hin«, dann findet man auch motivierte Mitstreiter.

Ich glaube, es ist für Menschen entscheidend, das Gefühl haben, dass man ihnen vertraut. Verantwortung sollte man teilen und Aufgaben delegieren. Das setzt eine gewisse Fehlertoleranz voraus – niemand ist fehlerfrei und immer erfolgreich. Dafür muss man Verständnis haben, es akzeptieren und nicht mit persönlicher Kritik bestrafen. Ich hatte das große Glück, mit vielen engagierten Kolleginnen und Kollegen zusammenzuarbeiten – nicht nur Professoren, sondern über das gesamte Spektrum der Universität hinweg – denen ich vorbehaltslos vertrauen konnte, die übertragene Verantwortung gerne und mit hoher Leistungsbereitschaft übernommen und sich dabei auch selbst weiterentwickelt haben.

Haben Sie je an ein Scheitern der Exzellenzinitiative gedacht?

Ganz ehrlich: Nein. Während der zwei Jahre bis zur ersten Erfolgsmeldung habe ich den Gedanken an ein Scheitern völlig ausgeblendet. Ich war von der Qualität unserer Anträge und insbesondere von unserem Zukunftskonzepts für die gesamte Universität überzeugt. Zudem wusste ich, dass alle Beteiligten ihr Bestes gegeben hatten. Rückblickend war das vielleicht naiv. Denn von 2010 bis 2012 war ich eigentlich nur vom Land Baden-Württemberg an die TU Dresden »ausgeliehen«. Wäre der Antrag gescheitert, hätte der Freistaat Sachsen mich wohl nicht als Rektor übernommen, sondern an meinen Lehrstuhl an der Universität Stuttgart zurückgeschickt – nicht aber an mein großes Forschungsinstitut, für das inzwischen eine neue Leitung gefunden worden war. Aber zum Glück ist ja alles gut gegangen!

Großartig. War der Druck bei der zweiten Antragsrunde größer?

Bei der zweiten Antragsphase haben wir schon Jahre im Voraus mit der Planung begonnen, Arbeitsgruppen gebildet, zusätzliches Personal zur Unterstützung eingestellt und die Begutachtung gemeinsam mit externen Spitzenwissenschaftlern geprobt. Ich würde sagen, wir waren besser vorbereitet als in der ersten Runde. Zudem konnten wir mit Stolz auf die positiven Entwicklungen der Vorjahre verweisen. Trotzdem war die eigentliche Begutachtungsphase von 2017 – 2019 eine sehr spannende Zeit. Ich habe von Anfang an angekündigt,
dass ich als Rektor zurücktrete, falls wir nicht erfolgreich sind. Denn dann hätte die Universität eine neue Leitung gebraucht, die sie wieder zu Spitzenleistungen motiviert. Als Fußballfan weiß ich: Der Abstieg tut mehr weh als der verpasste Aufstieg. Aber nach allem was ich gehört habe, waren die entscheidenden Personen schon frühzeitig von der Qualität unserer Anträge überzeugt.

Was würden Sie jungen Menschen am Anfang ihrer Karriere raten?

Seid geduldig mit euch selbst. Karrieren entwickeln sich nicht nur durch Ehrgeiz, sondern vor allem durch Erfahrung und bewusste Entscheidungen. Genießt den Moment und achtet darauf, dass ihr Freude an eurer Arbeit habt. Wenn man etwas mit Begeisterung tut, kommt der Erfolg fast von allein. Mit jeder Stufe auf der Karriereleiter muss man etwas von der fachlichen Arbeit abgeben, für die man ursprünglich eine Berufswahl getroffen hat. Institutsdirektoren haben meistens keine Zeit mehr, selbst im Labor zu arbeiten, und Rektoren verlieren mit der Zeit den Anschluss an ihr Fachgebiet. Diese Entscheidung und der richtige Zeitpunkt dafür sollten gut überlegt sein. Und nicht zuletzt:

MUT UND DEMUT GEHÖREN ZUSAMMEN – MUT, UM NEUE WEGE ZU GEHEN, UND DEMUT, UM AUS FEHLERN ZU LERNEN UND ANDEREN MENSCHEN RAUM ZUR ENTFALTUNG ZU GEBEN.

→ Das Gespräch führte Liane Rohayem-Fischer

LIANE ROHAYEM-FISCHER
Leiterin Marketing und Kommunikation

PROF. HANS MÜLLER-STEINHAGEN
war von 2010 bis 2020 Rektor der TU Dresden
und ist seit 2023 ist er Ehrensenator der TU Dresden