»Wir haben die Wahl«
MAGAZIN »Leben in der Frauenkirche« > HEFT 2/2024 > INHALT > Wagner als Vordenker der AfD
Richard Wagner als Vordenker der AfD?
Dass die Partei »Alternative für Deutschland« seit den Sommermonaten 2023 in den allermeisten repräsentativen Wahlumfragen zur Landtagswahl in Sachsen stabil vor der CDU liegt, ist mir Anlass, einmal im Parteiprogramm der AfD nachzuforschen, was uns sächsische Kulturliebhaber da eigentlich ab Herbst an kulturpolitischen Alternativen so erwarten könnte.
Empörten Leserinnen und Lesern, die sich sogleich fragen, warum ich an dieser Stelle auch noch Werbung ausgerechnet für diese Partei mache, sei versichert: eine Werbung sind meine Befunde mitnichten.
Die Zeiten, da sich die AfD als neue eurokritische Partei zu etablieren begann, sind programmatisch zum Teil schon wieder Geschichte. 2014 wählte zwar schon knapp jeder zehnte Sachse eine neue »Dagegen«-Partei. Die aber hatte sich noch nicht einmal ein Grundsatzprogramm gegeben und zum Thema kultureller Leitlinien nur reaktionäre Allgemeinplätze rund um das Schlagwort ›deutsche Leitkultur‹ und ›deutsche Sprache‹ zu bieten.
Den mitteldeutschen Landtagswahlprogrammen der Folgejahre waren dann allerdings konkretere kulturpolitische Ziele zu entnehmen. Kultur und Kunst sollten, so fasste es eine Studie der Heinrich-Böll-Stiftung aus dem Jahr 2017 zusammen, unter der AfD politisch instrumentalisiert und staatlicher Zensur unterworfen werden – in dem Sinne, dass Museen, Orchester und Theater verpflichtet werden sollten, einen »positiven Bezug zur eignen Heimat zu fördern«. In der genannten Studie konstatierte die Autorin Manuela Lück: »Das Landtagswahlprogramm der AfD Sachsen ist in Sachen Kulturpolitik das ausführlichste und konkreteste in seinen Vorhaben. Es heißt, dass man sich »gegen einen normierten und nach reinem Verkaufswert zusammengezimmerten Kulturbegriff [wendet] ebenso wie gegen einen Verordnungsstaat, der durch Fördermittel und Auszeichnungen in die Kulturproduktion eingreift.«
Kulturpolitik nur für Wohlhabende
Würden diese Forderungen umgesetzt, würde dies bedeuten, dass man jegliche Instrumente der Kulturförderung abschafft und die Kulturproduktion und kulturelle Entwicklung allein den Spielkräften des Marktes überlässt. Es wäre das Ende der derzeitigen Kulturlandschaft, denn Eintrittskarten für Oper-, Theater- und Orchesteraufführungen würden sich ohne öffentliche Fördermittel mehr als verzehnfachen und nur noch sehr wenigen Wohlhabenden zur Verfügung stehen.« Lück schlussfolgerte damals: »Die AfD vertritt eine Kulturpolitik nur für Wohlhabende.«
So war das natürlich nicht gemeint. Gibt sich die Partei doch in ihrem aktuellen Grundsatzprogramm als Anwalt des gemeinen Volkes gegenüber einer diffus gefassten »politischen Klasse«. In einer Landtagsdebatte zur Finanzierung der sächsischen Theater beklagte der kulturpolitische Sprecher der Partei letztes Jahr daher differenzierter: »Viele Sachsen fühlen sich nicht angesprochen von den Angeboten der Theater. Diese werden oft als elitär wahrgenommen.« Nein, das geht angeblich besser: »Für die AfD ist der Zusammenhang von Bildung, Kultur und Identität für die Entwicklung der Gesellschaft von zentraler Bedeutung.«
Sprich: Kultur soll der gesellschaftlichen Bewusstwerdung dienen! Der Staat soll nämlich, so folgt es später in der kulturellen Grundsatzerklärung des sächsischen Landesverbandes der AfD, »die deutsche kulturelle Identität als Leitkultur selbstbewusst verteidigen« und der Verteidigung der ›deutschen Sprache‹ dabei die zentrale Rolle geben. »Importierte kulturelle Strömungen« werden hierbei als »ernste Bedrohung für den sozialen Frieden« betrachtet. In überraschend rumpligem Deutsch schürt das Parteiprogramm von 2021 hier Verlustängste: »Die AfD wird nicht zulassen, dass Deutschland aus falsch verstandener Toleranz vor dem Islam [sic] seine tradierte Kultur verliert.«
Erinnerungen an Richard Wagner
Diese Drohkulisse lässt vor dem inneren Auge zuverlässig bekannte Feindbilder auferstehen. Persönlich war ich durch das Geraune rund um »die deutsche Sprache als Zentrum unserer Identität« (so ist ein ganzer Absatz des Parteiprogramms betitelt) sofort an Richard Wagners unter Pseudonym in der »Neuen Zeitschrift für Musik« veröffentlichten Artikel »Das Judenthum in der Musik« erinnert. Darin legte ein gewisser »K. Freigedank« dar, warum es Juden nicht vermögen, wahre Kunst zu schaffen, selbst wenn sie Deutsche sind: ihnen fehlt gewissermaßen das schöpferische Gen, das Biodeutsche mit der Muttermilch im natürlichen Sprachumfeld ihres Volkes traditionell seit Jahrhunderten aufnuckeln – die deutsche Sprache.
»Eine Sprache, ihr Ausdruck und ihre Fortbildung, ist nicht das Werk Einzelner, sondern einer geschichtlichen Gemeinsamkeit: nur wer unbewußt in dieser Gemeinsamkeit aufgewachsen ist, nimmt auch an ihren Schöpfungen theil. Der Jude stand aber außerhalb einer solchen Gemeinsamkeit, einsam mit seinem Jehova in einem zersplitterten, bodenlosen Volkssstamme, welchem alle Entwickelung aus sich versagt bleiben mußte, wie selbst die eigenthümliche (hebräische) Sprache dieses Stammes ihm nur als eine todte erhalten ist. In einer fremden Sprache wahrhaft zu dichten, ist nun bisher selbst den größten Genies noch unmöglich gewesen. Unsere ganze europäische Zivilisation und Kunst ist aber für den Juden eine fremde Sprache geblieben; denn, wie an der Ausbildung dieser, hat er auch an der Entwickelung jener nicht theilgenommen, sondern kalt, ja feindselig hat der Unglückliche, Heimatlose ihr höchstens nur zugesehen. In dieser Sprache, dieser Kunst kann der Jude nur nachsprechen, nachkünsteln, nicht wirklich redend dichten oder Kunstwerke schaffen.«
In einem 1869 veröffentlichten Nachwort seines – nun stolz unter eigenem Namen veröffentlichten – Pamphlets setzte der Komponist erklärend nach:
»Ob der Verfall unserer Cultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elementes aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurtheilen, weil hierzu Kräfte gehören müßten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist. Soll dagegen dieses Element uns in der Weise assimiliert werden, daß es mit uns gemeinschaftlich der höheren Ausbildung unsrer edlen menschlichen Anlagen zureife, so ist es ersichtlich, daß nicht die Verdeckung der Schwierigkeiten dieser Assimilation, sondern nur die offenste Aufdeckung derselben hierzu förderlich sein kann.«
Zu dieser ›Cultur‹, die vor fremden Elementen geschützt werden muss (das entsprechende AfD-Stichwort lautet »Kulturrelativismus«), erläutert das sächsische Parteiprogramm übrigens: »Deutschland wird weltweit auch wegen seiner einzigartigen Theater- und Orchesterlandschaft beachtet. Daher setzt sich die Partei ganz allgemein dafür ein, Kultur zu den Pflichtaufgaben des Staates auf den Ebenen des Bundes und der Länder zu erklären.«
»Streng protektionistische Pflege des deutschen kulturellen Erbes«
Aber wie gesagt, auf der ›richtigen‹ Seite soll diese Kultur zukünftig bitte schon stehen! Daher wird in der Broschüre KULTURPOLITIK der sächsischen AfD-Fraktion die streng protektionistische Pflege des deutschen kulturellen Erbes in den Mittelpunkt gestellt. »Die AfD erachtet es als eines ihrer vorrangigen politischen Ziele, dieses große Kulturerbe für die kommenden Generationen nicht nur zu bewahren, sondern es im Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung weiterzuentwickeln und seine unverwechselbaren Eigenheiten zu erhalten«, heißt es etwas widersprüchlich. Nanu – ist das die Einsicht, dass Kunst- und Kulturschaffende auf ihre jeweiligen Zeiten reagieren, ergo das eigene ›kulturelle Erbe‹ mit heutigen Herausforderungen in einer globalen Welt in Beziehung setzen müssten?
So weit denkt man bei der AfD aber nicht. Schon vor der letzten Landtagswahl fiel die Partei nicht durch Sachkenntnis auf, sondern polemisierte konkret gegen das Programm des »Europäischen Zentrums der Künste« in Hellerau, das mit seiner ›multikulturellen‹ Ausrichtung, die »importierte kulturelle Strömungen auf geschichtsblinde Weise der einheimischen Kultur gleichstellt« und damit ein Dorn im Auge der Erbehüter darstellte. Solcherlei moralischen Landesverrätern soll in einem AfD-regierten Sachsen zukünftig der Geldhahn abgedreht werden.
Stattdessen soll im deutschen Volk, etwas schwurbelig formuliert, »ein Bewusstsein gestärkt werden, welches kulturelle Verbundenheit wahrnimmt, fördert und schützt.« Wie sich eine solche Kulturförderung mit der grundgesetzlich festgeschriebenen Kunstfreiheit (Artikel 5 Abs. 3) vereinen ließe, führt der sächsische Landesverband indes nicht aus.
Es findet sich dabei paradoxerweise im parteipolitischen Programm ebenso der Satz: »Die AfD will den Einfluss der [anderen!] Parteien auf das Kulturleben zurückdrängen.« Und ein Knaller folgt sogleich im selben Abschnitt: »Die Zwangsfinanzierung des öffentlichen Rundfunks ist umgehend abzuschaffen und in ein Bezahlfernsehen umzuwandeln.«
Förderung der deutschen Orchesterlandschaft also einerseits und andererseits das knallharte Aus für die Finanzierung des öffentlichen Rundfunks? Hat den, Verzeihung, Knallchargen dieses Forderungsgefriemels denn in zehn Jahren Parteigeschichte niemand erklären können, dass diese traditionsreiche deutsche Orchesterlandschaft wesentlich durch eben jene Rundfunkbeiträge mitfinanziert wird? Dass ARD, ZDF und die Rundfunkeinrichtungen der Länder bundesweit zehn renommierte Orchester, fünf professionelle Chöre und vier Big Bands finanzieren und die Rundfunk-Orchester-und-Chöre GmbH Berlin mit den Gesellschaftern Bund, Land Berlin, RBB und Deutschlandradio weitere zwei Orchester und zwei Chöre (Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Rundfunkchor Berlin, Deutsches Symphonie-Orchester Berlin, RIAS Kammerchor)?
Der Geschäftsführer der Deutschen Musik- und Orchestervereinigung, Gerald Mertens, führte 2023 dazu in einem Positionspapier aus: »Die Rundfunk-Klangkörper wirken auch dort, wo es keine kommunalen Orchester gibt, gerade im ländlichen Raum – sowohl durch die Übertragung im Programm als auch durch Auftritte von Kammermusikensembles in Schulen. Es gibt unendlich viele Beispiele, wie auch Rundfunk-Klangkörper mit ihren Mitgliedern in die Landschaft hineinwirken.«
Widersprüchlich und populistisch
Fazit: die kulturpolitischen Leitlinien der »Alternative für Deutschland« sind bisher so widersprüchlich, dass sie als Alternative nicht taugen. Populistische Forderungen stehen im Vordergrund. Hintergrundwissen zum breiten Kulturleben in den sächsischen Metropolen? Fehlanzeige.
Nehmen wir doch nur die Rolle der Elblandphilharmonie Sachsen mit ihren jährlich über zweihundert (!) Konzerten, thematisch multikulturell unterwandert mit denglischen Themenspecials zu »The Legend of Hiphop« und einem außergewöhnlichen Faible des Chefdirigenten zu provokanten Uraufführungen und sinnstiftenden Kontrastprogrammen etwa mit DDR-Musik... Ich möchte den AfD-Politiker sehen, der dem Publikum in den Schulen, Kirchen und Konzertsälen zwischen Sächsischer Schweiz und Osterzgebirge eine 100%ige Mittelkürzung für dieses parteipolitisch ja quasi höchst unliebsame Ensemble verkündet.
Wenn – erstens – doch nur all die Wutsachsen, die die Partei im Herbst aus Trotz wählen wollen, sich einmal in Ruhe mit ihren Zielen auseinandersetzten! Wenn – zweitens – Kulturschaffende und Veranstalter ihrem Konzertpublikum ebenso ausführlich die absurden kulturpolitischen Realitäten einer AfD-geführten sächsischen Regierung einmal detailliert schildern würden, anstatt die AfD von vornherein auszugrenzen (was ihr die Möglichkeit gibt, sich in eine Opferrolle gegenüber den ›Altparteien‹ hineinzustilisieren).
Und wenn – drittens – die sächsische Landesregierung nicht immer nur mit dem Finger bedauernd nach Berlin und nach Brüssel zeigen würde, sondern vor Ort konkret und bürgernah problemorientierte (Kultur-)Politik machen würde. Die Werkzeuge dazu liegen doch auf der Werkbank des Sächsischen Kultursenats unter seinem Präsidenten, dem Organisten Albrecht Koch und dem Geschäftsführer Manuel Frey, bereit. Dann würden die blauen Tortenstückchen des sächsischen Wahlstatistikkuchens vor den heißen Herbsttagen sicherlich noch merklich schrumpfen.
Dr. Martin Morgenstern
seit 2007 Chefredakteur von »Musik in Dresden«, lehrte an den Universitäten
und Musikhochschulen von Dresden, Halle/Saale-Wittenberg, Bremen, Eichstätt,
Stuttgart und Leipzig und arbeitet freiberuflich als Kulturjournalist.