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Stilllebenhafte Verdichtung

Der Wiederaufbau der Frauenkirche hat Viele fasziniert. Dieter Krull hat als Fotograf seit 1990 den Wiederaufbau der Frauenkirche mit großer Begeisterung und Hingabe begleitet. Seine verdichteten Fotografien sind fachlich engagiert und zeichnen sich durch eine »große Sensibilität für Zwischentöne aus – kein bloßes Abbilden des Sichtbaren, sondern ein Herausfiltern des Besonderen und Einmaligen der Situation: Bild gewordenes Gedächtnis unserer Zeit« (Prof. Gerhard Glaser, Sächsischer Landeskonservator i.R.)

Was war Ihnen wichtig bei den Aufnahmen oder wie kam es überhaupt dazu, dass Sie die Frauenkirche über so viele Jahre fotografiert haben?

Herr Krull: Ich bin Dresdner und habe Krieg und Luftangriff erlebt. Die Ruine der Frauenkirche gehörte für mich zum Stadtbild und ich habe das Gedenken miterlebt. Als 1985 die Menschen nach dem Friedensgebet in der Kreuzkirche mit Kerzen zur Frauenkirche liefen, erlebte ich das einerseits persönlich als einen sehr emotionalen Moment, andererseits als einen Moment, den ich fotografisch festhalten konnte.
Von da an wurde die Frauenkirche für mich ein bedeutendes Motiv und ich konnte viele wichtige Momente fotografisch festhalten, wie zum Beispiel die Aufnahmen von den blühenden Sträuchern auf dem Schuttberg, der Enttrümmerung, als der Bagger oben auf dem Schuttberg stand. Das habe ich weiterverfolgt und das hat mich so berührt, dass ich einfach weitermachen musste.
Man brauchte dafür eigentlich eine Genehmigung, aber die Leute vom Wachschutz haben mich irgendwie akzeptiert und mich machen lassen.
1997 hat mich dann der Verlag Huss-Medien GmbH, Verlag Bauwesen angesprochen. Aus den vielen Fotos wurde eine Auswahl getroffen und 2001 das erste Bildband »Memento Frauenkirche« veröffentlicht. Darin sind unwiederbringliche Bilder zu sehen. Viele dieser Fotos wurden im zweiten Band noch einmal veröffentlicht, weil sie solch einmalige Zeitdokumente sind.

Es gibt ein sehr, sehr eindrucksvolles Foto vom 13.  Februar 1987, welches viele Menschen mit einer Kerze in der Hand vor der Ruine der Frauenkirche zeigt. War es 1987 nach dem Friedensgebet in der Kreuzkirche so einfach möglich, Fotos vor der Frauenkirche zu machen?

Herr Krull: Naja, es wurde von der Staatssicherheit beobachtet. Es war zwar nicht verboten, aber ich wollte auch nicht unbedingt Schwierigkeiten bekommen. Wir hatten so etwas schon an vielen anderen Stellen erlebt: »Was wollen Sie denn hier? Was machen Sie denn hier?« Aber meist dachten sie: »Der ist wahrscheinlich vom Fernsehen mit der grossen Kamera und mit dem Stativ. Das muss irgendwie offiziell sein.«.

Frau Krull: Vor der Wende war der 13. Februar immer ein sehr emotionaler Abend, es »knisterte« immer. Und auch 1989 war es so. Es war einem nicht geheuer, weil man nicht wusste, was vielleicht passieren könnte oder ob man wegen der Fotos registriert wurde, an so einem Abend.

Von diesem Foto geht eine ganz besondere Stimmung aus, die man noch heute spüren kann. Waren es diese Momente, von denen Sie sagen, dass sie für Sie die Faszination Frauenkirche ausgelöst haben?

Herr Krull: Ja, sicherlich. Und da musste ich weitermachen. Mir war es immer wichtig, die Magie und den richtigen Moment einzufangen und dafür musste alles passen: der Zeitpunkt, das Licht, die Perspektive. Manchmal hat es mehrere Tage gedauert, bis ein Foto entstanden ist. Es musste alles perfekt sein und so bin ich immer wieder zur Frauenkirche gegangen, bis ich das richtige Foto machen konnte.

Was hat Sie beim Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche so in den Bann gezogen? War das mehr, dass diese Wunde der Zerstörung geschlossen wird? Oder der Bau, das Architektonische oder der Bau-prozess an sich? Oder war es alles?

Herr Krull: Eigentlich ist es alles gewesen. Gut, ich habe die Vision des Wiederaufbaus von Anfang an verfolgt, mit den Diskussionen und Debatten, mit den Plakaten draußen auf der Straße und den Bannern, die schon an der Frauenkirche gehangen haben.

Frau Krull: Du warst überhaupt sehr fasziniert. Auch durch diese ganzen noch vorhandenen Steine, die es gab und die in den Regalen lagerten, die nummeriert und geprüft worden und…

Herr Krull: ... die dann akribisch wieder zusammengesetzt wurden. Dadurch war der Wiederaufbau für die Bürger der Stadt sehr sichtbar und erfahrbar.

Wenn man die Bilder sieht, sind das für mich oder für den Betrachter keine Fotos, die einfach »nur« einen Baufortschritt dokumentieren. Ihre Fotos sind künstlerisch. Was macht den Unterschied? Was haben Sie anders gemacht?

Herr Krull: Natürlich war mein Ziel nicht nur die bloße Dokumentation, sondern auch eine künstlerische Reflektion des Wiederaufbaus in seiner Zeit. Das bringt eine andere Herangehensweise und Sicht auf das Motiv mit sich. Meine Frau und ich, wir waren ja beide neben unseren kommerziellen Arbeiten auch frei künstlerisch tätig, haben viel ausgestellt und veröffentlicht.

Frau Krull: Wir waren beide schon in der DDR freiberuflich tätig und das konnte man nur, wenn man Mitglied des Verbandes Bildender Künstler war. Dort musste man sich bewerben und Arbeiten vorlegen. Dann war man Kandidat, drei Jahre lang. In den drei Jahren musste man etwas geschaffen oder publiziert haben. Und nach drei Jahren gab es ein weiteres Aufnahmeverfahren und im besten Falle wurde man Mitglied des Verbandes.

Herr Krull: Diese hohen Anforderungen haben uns gewissenmaßen geschult und geprägt. Wir fühlten uns immer verpflichtet, tatsächlich alles anders zu sehen, kreativer zu verstehen und zu sehen und mit einem anderen Anspruch an die Sache heranzugehen. Unsere Arbeiten wurden dadurch oft sehr aufwendig und waren stark im Detail durchdacht.

Frau Krull: Als Fotograf muss man zunächst Technik und Form beherrschen. Zum anderen muss man es verstehen, unter Nutzung von Technik und Ästhetik die Gegenwart, beziehungsweise in diesem Falle auch einen Ort in der Veränderung zu reflektieren. Das ist zum Beispiel so bei diesen Fotos, die den Innenraum zeigen mit den roten Stahlträgern. Es ist ein künstlerischer Blick in den Innenraum. Natürlich dokumentiert er auch den Baufortschritt an den Emporen. Heute ist es so nicht mehr zu sehen, aber selbst in diesem Stadium ist quasi das Entstehen des Innenraums der Frauenkirche auch Kunst, wenn man die Fotos betrachtet.

Herr Krull: Das Foto beim Einbau der Emporen mit den roten Eisenträgern. Das ist eines davon.

Frau Krull: Man sieht hier auch gut die Gegenüberstellung.

Und das Licht. Das Licht spielt ja auch eine Rolle. Sie hatten erst erzählt, dass Sie auch manchmal mehrere Male zur Frauenkirche hingegangen sind und auf das beste Licht gewartet haben.

Herr Krull: Genau. Wieder und wieder. Ein Geduldsspiel… Und dann habe ich natürlich zum Teil auch bei einigen Innenaufnahmen eigene Beleuchtung mitgebracht und zusätzlich noch Licht erzeugt. Nicht immer hat mir das vorhandene Licht ausgereicht.

Mit welcher Ausrüstung haben Sie denn das gemacht, wenn Sie gerade von der Technik sprechen?

Herr Krull: Alles Großformat. Das muss man schon ein bisschen mehr erklären, unter dem Begriff können sie sich bestimmt wenig vorstellen: Die großen analogen Großformatkameras sind nach dem genutzten Filmformat benannt. Es wurde mit extrem großen einzelnen Planfilmblättern gearbeitet. Schärfe, Farbenreichtum, Tonabstufungen und Detailreichtum dieser Fotografien waren allen kleineren Formaten haushoch überlegen. Doch der Umgang mit diesen auch sehr teuren Kameras war äußerst komplex und schwierig. Deshalb wurden sie auch in erster Linie nur von professionellen Fotografen für anspruchsvolle Architektur-, Porträt- und Landschaftsfotografie genutzt. Und durch die Balgenkonstruktion war die Kamera natürlich für Architekturfotografen besonders prädestiniert.

Frau Krull: Wir haben mit Planfilmkassetten gearbeitet, die zwei Planfilme, also zwei Belichtungen enthielten. Die Kassette wurde in die Kamera geschoben und dann gedreht. Zwei Bilder also nur.

Das hört sich aufwendig an.

Herr Krull: Das war es auch. Es war kompliziert, und man hatte nur zwei oder drei Belichtungen pro Motiv. Und da musste man sich sehr genau überlegen, was man wie fotografieren wollte. Aber die Fotos hatten dann natürlich eine exzellente Qualität.

Frau Krull: Ein sehr berührendes Bild zeigt den Altar mit der aufgeschlagenen Bibel. Das zum Beispiel haben, ich glaube, die meisten Dresdner nicht gewusst, dass hinter dieser Wand, die ja noch stand, der Altar zugemauert war und dahinter war. Als der Altar freigelegt wurde, ist dieses Foto entstanden. Die Bibel lag da, als wäre sie gestern noch gelesen worden und dann zerfiel sie zu Asche. Diesen einzigartigen Moment in einem Foto festhalten zu dürfen war besonders.

Herr Krull: Ein weiteres Foto zeigt die äußere Sicht auf die Mittelachse, die auch heute so nicht mehr existiert. Mittlerweile ist der Neumarkt bebaut. Dieses Fotos wollte ich unbedingt noch machen, bevor die Bauarbeiten begannen.

Frau Krull: Es war im Juni 2004, das Kuppelkreuz wurde hochgezogen und da standen natürlich Hunderte Leute, die das Ereignis verfolgten. Und genau dann begann es zu regnen. Und davon gibt es ein Bild. Ich habe nach unten fotografiert, also von der obersten Etage des Verkehrsmuseums, und da war die ganze Fläche voller Menschen mit ihren bunten Regenschirmen.

Wenn Dieter Krull von seiner Arbeit erzählt, kommt er ins Schwärmen. Durch seinen fotografischen Blick auf die Dinge wird für uns das Heute zum Gestern, weil die Fotografien im schnellen Fluss der Zeit bestehen. Er hat sein Motiv in der Frauenkirche gefunden und uns so einen Blick auf die Entstehung ermöglicht.

→ Die Fragen stellte Liane Rohayem-Fischer.



Das Buch »Memento Frauenkirche« von Dieter Krull und Dieter Zumpe ist bei Huss-Medien GmbH, Verlag Bauwesen erschienen.

Dieter Krull
Der Dresdner Fotograf Dieter Krull begleitete seit 1990 den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche. Seine Fotografien zeichnen sich durch eine große Sensibilität für Zwischentöne aus.

Evelyn Krull
Gehörte zu den Fotografinnen in der DDR, die frühzeitig ihren Weg in die eigenschöpferischen Arbeiten von der abbildhaften Fotografie zu einer um subjektiven Ausdruck bemühten Fotografie gingen