»Wir haben die Wahl«

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THEATER als Ort der Kunstfreiheit und des Diskurses, der Demokratie und der Menschlichkeit

Theater als demokratische Institution, als Orte der Begegnung und des Austauschs sind schon immer Orte der Auseinandersetzung mit tagesaktuellen, zeitgenössischen Diskursen und gesellschaftlich-politischen Entwicklungen gewesen – sei es in einer satirisch-humorvollen Betrachtung, sei es über politische Debatten oder in einer historischen, eine Analogie zum Heute suchenden Überschreibung, sei es über überhöhende, ästhetisierende Inszenierungen – die Formen und Facetten waren und sind schon immer prall und vielfältig, so wie das Theater – und das Leben – selbst auch.

Die Zeiten sind unübersichtlich und das bei weitem nicht nur für die Theater- und Kulturszene. Nach den entbehrungsreichen und emotional aufwühlenden Pandemiejahren stecken wir in den nächsten globalen Krisen mit Ukraine-Krieg, Energie- und Klimakrise und dem terroristischen Angriff der Hamas auf Israel, der eine neue Welle von Antisemitismus weltweit nach sich zieht – Krisen, die sich auch auf unser Leben in Deutschland nachhaltig auswirken.

Ebenso wie sich die gesellschaftlichen und politischen Diskussionen im Ton und in der Intensität aktuell verschärfen, ebenso kontrovers werden die unterschiedlichen Debatten im Theater geführt – mit Blick auf gendergerechte und diskriminierungsfreie Sprache und Darstellung, in der Frage nach kultureller Aneignung und Zuschreibung, aber auch in der Zuspitzung von gesellschaftlichen Debatten unter dem Brennglas einer künstlerischen Auseinandersetzung und Betrachtung.

Freier Raum mit vielfältigen Möglichkeiten

Ein Theaterabend per se sollte ein durch und durch freier Raum sein mit vielfältigen Möglichkeiten des Experiments und Spiels, der uns alles erlaubt, um neue Perspektiven auf Stoffe und Debatten zu evozieren und gleichzeitig darüber ins Gespräch zu gehen. Und doch wird bereits der möglichst geschützte Innenraum, der Produktionsprozess, zunehmend von Außenperspektiven durch akademische und politische Diskurse dominiert und bewertet.

Die Staatsoperette ist ein großes Musiktheater, das mit knapp 270 Mitarbeitenden musikalisches Unterhaltungstheater auf höchstem Niveau entwickelt und darbietet – im Bereich Musical, Operette, Ballett, Oper, Konzert, Revue – die Formen sind so vielfältig, wie die Menschen dahinter. Das Genre der Operette war und ist schon immer politisch gewesen, auf Grundlage eines komödiantischen Stoffes wurde ein Zeitgeist gespiegelt oder konterkariert, die Mächtigen durch den Kakao gezogen oder der Tanz auf dem Vulkan zelebriert – das Lachen als (kurze) Erlösung aus der Ohnmacht gesellschaftlich-politischer Zwänge.

»Kunst für Demokratie und Vielfalt«

Die Geburtsstunde der Operette fand mit Jacques Offenbach Mitte des 19. Jahrhunderts in Frankreich statt, der nicht nur für politische Skandale auf der Theaterbühne sorgte, sondern diese über gezielt authentische Anspielungen und Verstrickungen zuzuspitzen wusste. Die Staatsoperette versteht sich schon deshalb als offener Diskursraum für alle Debatten; in der künstlerischen Produktion ist es mir als Intendantin dieses Hauses umso wichtiger, erweiternde Perspektiven in der künstlerischen Betrachtung und Umsetzung eines Stoffes zu eröffnen.

Und gleichzeitig tragen wir eine gesellschaftliche Verantwortung, umso mehr in einer politisch so aufgewühlten Ausgangslage, wie wir sie zur Zeit vorfinden, auch mit Blick auf bevorstehende Wahlen. Unter dem Hashtag #niewiederistjetzt positionieren wir uns als Haus gleichzeitig mit dem Slogan »Wir machen Kunst für Demokratie und Vielfalt«.

Nicht nur, dass das Genre der Operette selbst ein politisches ist, auch die Biographie vieler Künstlerinnen und Künstler, die dieses Genre in den 20er und 30er Jahren des 20. Jahrhunderts geprägt haben, ist eng mit der deutschen Geschichte und ihren politischen Implikationen verknüpft. Viele mussten mit Machtübernahme durch die Nationalsozialisten emigrieren, ihre Werke wurden verboten, für andere bedeutete es das gesamtkünstlerische Aus. Dieses Erbe nehmen wir als Haus ernst und arbeiten es in unserem Repertoire mit auf. Und positionieren uns auch damit klar gegen Antisemitismus! Insofern bereitet es mir große Sorge zu beobachten, dass wir Menschen verlernen, einander zuzuhören, verschiedene Perspektiven zuzulassen und einander unterschiedliche Meinungen zuzugestehen. Es gibt nur noch Schwarz oder Weiß, nur noch Extreme, und das ist gefährlich.

Im Gespräch bleiben

Im Theater, in der Staatsoperette, wollen wir diesen Raum eröffnen und ermöglichen, gemeinsam unterschiedliche Perspektiven auf Diskurse zu werfen und konstruktiv miteinander ins Gespräch zu kommen. Dafür müssen aber vielschichtige Perspektiven, Formen und Ästhetiken im Spiel, in der Ausdrucksweise und Darstellung, aber auch in der sprachlichen Ausformulierung, in der Interpretation und vor allem auch im Humor, möglich sein und bleiben.

Das Theater kann uns Menschen die größte Form von Freiheit und Öffnung im Denken und Reflektieren zugestehen innerhalb der geschützten Form des gestalteten Theaterabends und darin gleichzeitig die wertvollsten Gedankenspiele etablieren und den Horizont im Füreinander und Miteinander erweitern.

Wir brauchen diese Kunst-Freiheit, um neu reflektieren, uns aneinander reiben und miteinander lachen und weinen, in jedem Fall empfinden zu können und daraus mit neuer Energie und Empathie weiter zu gehen und zu denken.

Somit machen wir nicht nur Kunst für Demokratie und Vielfalt, sondern auch für Menschlichkeit und Miteinander. Dafür stehe ich als Intendantin des Hauses und dafür wird die Staatsoperette immer stehen – für einen Ort der Kunstfreiheit und des offenen Diskurses!

KATHRIN KONDAUROW
leitet seit 2019 die Staatsoperette Dresden und setzt seitdem unter
dem Slogan »Broadway in Dresden« wichtige künstlerische Akzente
im Bereich des musikalischen Unterhaltungstheaters.