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Familienmodell Patchwork
Vater-Mutter-Kind – so spielen es die Kleinen schon im Kindergarten und diese Vorstellung haben viele von ihrem Leben im Kopf. So auch wir, als jeder von uns das erste Mal eine kleine Familie gegründet hat.
Doch manchmal schreibt das Leben andere Geschichten. Die Familie zerbricht. Der Traum von der heilen Familie – ausgeträumt? Viele Fragen stehen dann im Raum: Was habe ich falsch gemacht? Wie wird unser Kind das alles wegstecken?
Der Abschied von den bisherigen Vorstellungen, die man nicht »geschafft« hat zu leben – der tut weh und dauert nicht nur ein paar Wochen! Unsere individuellen Geschichten:
Ich bin in einer Patchwork-Familie aufzuwachsen. Mein Vater war Ende 30, als er nach der Trennung von meiner Mutter eine bis heute andauernde Beziehung aufgebaut hat.
Ich kam gerade in die 1. Klasse, als das erste gemeinsame Treffen mit seiner neuen Frau stattfand. Wir sind gemeinsamin den Zoo gegangen.
Mit dabei war auch die Tochter der neuen Partnerin. Ein augenscheinlicher Familienausflug; so etwas habe ich vorher noch nie erlebt. Erinnerungen an meine Mutter habe ich nicht.
Erst mit 20 habe ich erfahren, dass sie bereits mit Ende 30 verstorben war. Ich hatte ein behütetes Patchworkfamilien-Leben.
Viele glückliche Momente wurden hin und wieder von traurigen Momenten überschattet. Nicht selten, weil unterschiedliche Auffassungen der Erziehung zu Streit zwischen meinen Eltern führten.
Vieles, was ich in meinen Kindheitsjahren bewusst oder auch unbewusst erlebt habe, ermöglicht mir heute eine differenzierte Betrachtungsweise in unserer Patchworksituation.
Ich bin in einer ganz klassischen Familie mit zwei jüngeren Geschwistern groß geworden. Meine Eltern sind auch heute noch verheiratet. Ein alternatives Lebensmodell, das war in meinen Zukunftsplänen immer etwas, das andere betraf.
Dann ist es mir doch passiert. Was ich mit Gewissheit sagen kann: Fast keine Frau entscheidet sich mit ihrem Partner für ein Kind und denkt sich dabei: In ein paar Jahren alleinerziehend sein, das wär‘s!
Doch seinem Kind eine freudlose Beziehung vorzuleben – das wollte ich noch weniger. Ich bin rückblickend trotz der mühsamen Zeit als Alleinerziehende dankbar für die intensiven Jahre, die ich mit meiner Tochter verbringen durfte.
Dennoch blieb im Inneren immer die Sehnsucht nach einem Menschen, mit dem man das Leben teilt, der Wunsch nach einem Neubeginn, vielleicht auch noch ein Baby?
Nach zwei kurzen Beziehungen kam dann irgendwann mein jetziger Mann in mein Leben.
Von Anfang an fühlten wir uns sehr stark zueinander hingezogen. Wir waren überrascht, wie gut alles passte. Werte, Lebensziele, Alltagsvorstellungen – vieles harmonierte sehr gut. Sehr früh haben wir das Thema Hochzeit angesprochen, wenn auch vorsichtig.
Was, wenn die rosarote Brille uns nur den Verstand vernebelt hatte? Aber Herz und Verstand harmonierten weiterhin und eineinhalb Jahre nach unserem Kennenlernen haben wir standesamtlich zu zweit in Griechenland und kirchlich in der Frauenkirche geheiratet.
Wir haben jeder eine Tochter mit in die Beziehung gebracht und die durften Blumen streuen. Wir fühlen uns beide angekommen und genießen das gemeinsame Familienleben mit unseren Kindern. Oft werden wir gefragt, ob unsere 10-jährigen Töchter Zwillinge seien.
Mutter, Vater, Kinder – das ist doch ganz normal, oder? Erstaunen begegnet uns oft, wenn wir dann sagen: »Nein, Stiefgeschwister.« Wobei wir den Begriff Bonus-Schwestern lieber mögen.
Die beiden hatten trotz oder vor allem gerade wegen ihrer unterschiedlichen Wesen von Anfang an einen riesen Spaß miteinander.
In den gemeinsamen Wochen ist es für sie immer wie Ferienlager. Eine leibliche Schwester hat man immer um sich, aber eine Bonusschwester ist nach einer Woche Pause immer wieder spannend und besonders. Es gibt natürlich auch mal Eifersucht, Enttäuschungen und Rivalität.
Meistens sind sie jedoch unzertrennlich. Wir freuen uns, dass beide füreinander eine Bereicherung geworden sind.
Jede Beziehung hat ihre Herausforderungen. Da gibt es Paardynamiken und typische Themen wie das Aushandeln von Nähe und Distanz, das Finden einer Streitkultur, unterschiedliche Freizeitvorstellungen, die Schwiegereltern. All das betrifft unsere Beziehung natürlich genauso.
Aber es gibt ein paar Punkte in Patchworkfamilien, die man in klassischen Familien eher selten findet. Und die sorgen für zusätzlichen Zündstoff. Wohin verlegen wir unseren Lebensmittelpunkt, ohne den Kindern zu viel zuzumuten?
Wir lebten beide in unterschiedlichen Vierteln von Dresden, wo unsere Kinder natürlich auch zur Schule gingen und Freunde hatten.
Bei einem Umzug mit Kind stellt sich die Frage, ob die neue Partnerschaft es wert ist, das Kind aus allem herauszureißen. Klar war für uns: Wir wollen unbedingt einen gemeinsamen Alltag leben. Mietet man sich eine neue Wohnung oder zieht einer zum anderen?
Wir haben uns am Ende aufgrund der Lage und Größe der Wohnung dafür entschieden, dass die Frau zum Mann zieht. Dadurch konnten beide Kinder auch ihre Grundschulen weiter besuchen.
Jeder von uns hatte schon längere Zeit Alltag mit festen Gewohnheiten mit seinem Kind verbracht. Die prallten natürlich erstmal aufeinander.
So die Nachmittagsgestaltung nach der Schule, die Ernährung, aber auch Abendrituale, um nur einige zu nennen. Gibt es Fernsehen oder nicht? Wird jetzt eine Geschichte gelesen oder ein Spiel gespielt? Gibt es gemeinsame Kuschelzeit?
Bezüglich der unterschiedlichen Rituale haben wir anfangs beiden Kindern ihre Abläufe gelassen, denn es war ja schon so vieles neu für sie. Ein altes Kinderzimmer wurde aufgelöst, beim anderen zog ein weiteres Kind ein. Die neue Wohnsituation mit neuen Wegen im Alltag.
Die Mama/der Papa mussten jetzt geteilt werden. Nach drei Jahren haben wir mittlerweile neue Rituale gefunden, diedie alten abgelöst haben.
Bereits nach kurzer Zeit haben wir uns den Traum eines großen Familienbettes erfüllt. Die Nächte waren so für die Kinder sehr entspannt und Mama oder Papa immer »griffbereit« zum Kuscheln. Das Zusammenwachsen als Familie wurde damit zusätzlich erleichtert.
»Ihr habt ja jede zweite Woche kindfrei!« Ja, das ist in mancherlei Hinsicht ein großer Luxus, hat aber auch seinen Preis. Natürlich genießen wir die Paarzeit. Man kann Arzttermine wahrnehmen, die Wohnung putzen, ohne dass sofort wieder Schokolade irgendwo klebt.
Für ein paar Tage ist es aufgeräumt. Man kann für sich alleine naschen und man kann vor allem eins: ausschlafen! Es bleibt Zeit, um abends Freunde zu treffen oder endlich mal lange zu arbeiten, um Überstunden aufzubauen. Aber passt das alles zeitlich in eine Woche?
Hier kommt das Aber: der Freizeitstress. Für eine Woche ist das schon wieder sehr viel. Und das zweite Aber – die Tränen der Kinder an den Wechseltagen. Das zerreißt uns Eltern das Herz. Die Trauer darüber, dass wir die Hälfte des Lebens unserer Kinder verpassen. Hier gibt es auch nichts zu beschönigen.
Und auch wir sind in diesen Situationen nicht frei von Selbstvorwürfen. Welche emotionalen Spuren wird diese Lebenssituation hinterlassen? Uns beruhigt der Gedanke, dass eigentlich kein Mensch eine Kindheit hatte, in der nur Milch und Honig flossen.
Unsere Kinder profitieren sichtlich davon, zu beiden Eltern eine enge Bindung zu haben. Sie kennen das Leben als Einzelkind genauso wie mit Geschwisterkind. Sie wissen, dass man eine Beziehung verlassen darf, wenn sie einem nicht mehr gut tut.
Sie fühlen sich von Mama und Papa geliebt, auch wenn die Wechseltage kräftezehrend und emotional anstrengend sind.
Verliebt hat man sich ja in erster Linie in den neuen Partner. Und dann kommt da noch ein kleines Wesen dazu, das vielleicht aussieht wie der Ex-Partner oder dessen Eigenschaften hat.
Da ist manchmal so viel Fremdes im Blick oder der Art des Kindes, aber dennoch verdient es ja genauso unsere uneingeschränkte Liebe.
Nach außen wird man als Familie wahrgenommen, aber das Gefühl der Zusammengehörigkeit braucht lange zum Wachsen, viel Geduld, ein offenes Herz, gemeinsame Erlebnisse und Konfliktfähigkeit.
Daran angelehnt entstehen auch Konflikte in der Partnerschaft, wenn man das Gefühl hat, dass der Partner das eigene Kind benachteiligt und das leibliche bevorzugt.
Wir reden sehr offen darüber, dass wir die Liebe und Nähe zum eigenen Kind immer größer und besonderer empfinden als zum Bonuskind.
Konflikte haben wir dadurch immer gut gelöst bekommen, aber auch das ist stetige Arbeit mit Selbstreflexion und Gesprächen.
Aufgrund der Kinder bleibt man mit den Ex-Partnern ein Leben lang verbunden. Es gibt ständig etwas zu besprechen. Wer übt für die Mathe- und wer für die Deutscharbeit? Wo ist die Sporthose geblieben? Es gibt auch Lieblingskuscheltiere, die jede Woche mit umziehen.
Die häufige Präsenz des Ex-Partners muss man erstmal aushalten lernen. Wir waren uns als Paar schnell einig, dass wir Planungen der anderen Eltern, die unsere Partnerschaft und unseren Alltag beeinflussen, immer miteinander besprechen und Entscheidungen gemeinsam treffen.
Wir haben von Anfang an als Team agiert, wobei natürlich jeder die Kommunikation mit jeweils »seinem« Ex-Partner übernimmt. Dieser »Wir«-Gedanke auch gegenüber den jeweils anderen Elternteilen hat uns als Paar sehr gestärkt.
Wir sind in der glücklichen Lage, mit unseren Ex-Partnern eine gute kommunikative Ebene gefunden zu haben. Frust und Verletzungen aus den gemeinsamen Jahren sind größtenteils geklärt.
Das ist keine Selbstverständlichkeit und macht uns beide sehr dankbar. Wir respektieren und akzeptieren einander.
Das ist der schmerzhafteste Teil. Heiligabend ohne Kinder zu verbringen ist einfach nicht schön. Das Kind an seinem Geburtstag nicht oder nur kurz zu sehen tut weh und macht traurig.
Es braucht sehr viel Abstimmung, da zu jedem Elternteil auch Großeltern gehören, die ihre Enkelkinder sehen möchten. Gerade für die Kinder sind Feiertage daher manchmal anstrengend. Von Oma A zu Opa B, weiter zu Oma und Opa C.
Wir versuchen, immer das Beste aus der Situation zu machen. So ist die Bescherung auch schon mal am 23.12. abends und Heiligabend verbringen wir nach einem Familienfrühstück kuschelig als Paar.
Zum Geburtstag finden wir immer Wege, damit unsere Töchter beide Elternteile sehen können.
Für uns steht demnächst eine weitere große Veränderung an. Wir erwarten Nachwuchs – ein neues Leben, dass unsere kleine Patchworkfamilie noch vollständiger machen wird. Unsere Töchter werden große Schwestern.
Wir sind gespannt auf alles, was uns erwartet. Unsere tiefe emotionale Verbundenheit und der Wille, diese Beziehung zu leben, lassen uns immer wieder aufeinander zugehen.
Unser Lebensmodell ist nicht besser oder schlechter als andere. Es hat Vor- und auch Nachteile. Wir möchten Mut machen, dass mit einer Trennung nicht alles vorbei sein muss.
Dass es natürlich ein Abschied von Träumen und Idealen bedeutet, aber dass man trotzdem sein Glück finden kann, wo man es vielleicht gar nicht erwartet hat.
Familie SCHEUMANN