»Einsamkeit«

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Ein wichtiges Angebot für einsame Menschen

»Die Telefonseelsorge ist ein wichtiges Angebot für einsame Menschen. In den Gesprächen können wir viel bewirken.«

Liane Rohayem-Fischer sprach mit Katharina Pruggmayer-Gruhn, Koordinatorin der TelefonSeelsorge Dresden, über die Aufgabe und Bedeutung dieses besonderen Angebots.

Was macht die Telefonseelsorge? Wer ruft bei Ihnen an?

Die Telefonseelsorge ist ein kostenloses Angebot bei Krisen und Sorgen aller Art, auch zur Suizidprävention. Es kann sich jeder bei uns melden, der Gesprächsbedarf hat und einen Menschen sucht, der sich ihm zuwendet. Wir sind rund um die Uhr erreichbar. Es rufen viele unterschiedliche Menschen an – Ältere, aber auch Menschen mittlerer Altersstufen, berufstätige oder arbeitslose Menschen in Orientierungsphasen.

Viele Anrufende leben allein, aber längst nicht alle. Ab und zu melden sich auch Jugendliche, weil sie sich langweilen oder das Angebot testen wollen. Manchmal geht es auch nur darum, herauszufinden, ob sie mit jemandem über alles reden können, zum Beispiel über Sexualität.

Das schließt schon so an meine nächste Frage an, nämlich was diese Menschen bei Ihnen am Seelsorgetelefon suchen.

Wir haben lange mit dem Slogan »Ein Ohr zum Zuhören« geworben. Und ich glaube, dass unser Angebot wirklich wichtig ist: dass jemand da ist, der Anteil nimmt, der vielleicht tröstet oder motiviert, weil der Anrufende das braucht. Jemand, der Geduld mit mir und meinen vielleicht etwas durcheinander geratenen Gedanken hat oder mit einer neuen Idee einen Anschub für etwas gibt.

Es ist sehr verschieden, aber jeder möchte gesehen bzw. am Telefon gehört werden, sucht nach der Hinwendung und Aufmerksamkeit eines Menschen für sich.

Dann ersetzen Sie in der Telefonseelsorge das fehlende Gegenüber für so ein Gespräch. Oder vielleicht ist es auch gerade die Anonymität am Telefon die dabei hilft, sich jemanden mitzuteilen. Ist das eine zutreffende Einschätzung?

Ja, das ist sehr zutreffend. Wir sehen nicht die Telefonnummer der Menschen, die bei uns anrufen. Die Anonymität hilft, weil sie einen Schutzraum bietet, um jemandem Dinge anzuvertrauen, die sonst vielleicht niemand weiß, also auch heikle Sachen.

Und das andere ist, überhaupt einen Menschen als Gegenüber zu haben, den ich nicht kenne, der nicht in meine Familiengeschichte involviert ist, in meine Arbeit usw. Sondern jemand, der ganz andere Gedanken und Perspektiven anbieten kann, mit frischem Blick. Das ist wichtig für Anrufende.

Auch wenn jemand wiederholt anruft, spricht er oder sie immer wieder mit jemand anderem – es sind aktuell ca. 80 Ehrenamtliche bei der Telefonseelsorge Dresden tätig. Jede bzw. jeder Ehrenamtliche hat eine eigene Perspektive auf die Dinge und fühlt anders mit.

Ein Phänomen unserer Zeit ist Einsamkeit, die Menschen unterschiedlichen Alters betrifft. Ist das auch etwas, was Sie in der Telefonseelsorge feststellen?

Ja, das ist eines der häufigsten Themen unserer Arbeit. Oft wird es nicht benannt, ist aber zu spüren, da es die Motivation ist, überhaupt zum Hörer zu greifen und einen fremden Menschen anzurufen. Die Telefonseelsorge ist ein wichtiges Angebot für einsame Menschen. Wir können mit den Gesprächen wirklich etwas bewirken, indem wir ihnen ein Gegenüber anbieten, zuhören und Geduld haben.

Einsamkeit ist ein sehr schmerzliches Gefühl. Wir können da sein und anerkennen, dass es gerade so ist, ohne es wegzureden oder bagatellisieren zu wollen. So fühlen sich die Anrufenden wirklich wahrgenommen, mit dem, wie sie gerade beschäftigt. Wir Seelsorgenden sollten nicht auch noch davor »wegrennen«. Davor haben einsame Menschen besonders Angst.

Manche versuchen, uns recht lang im Gespräch zu halten. Das Thema kann durchaus Hilflosigkeit beim Gegenüber erzeugen oder besonders viel Mitgefühl und Verständnis. Das hängt von vielen Faktoren ab. Einsamkeit ist ja ein Gefühl, das wir im Laufe unseres Lebens alle zeitweise erleben und aushalten müssen.

Es ist enorm, was Ehrenamtliche in der Telefonseelsorge leisten, insbesondere in bestimmten schwierigen Gesprächssituationen. Was brauchen die Ehrenamtlichen denn selbst insbesondere für solche Gespräche?

Alle erhalten vorher eine einjährige Ausbildung. Dabei beschäftigen wir uns mit der Gefühlswelt der Ehrenamtlichen, mit der Wahrnehmung der eigenen und der Gefühle des anderen. Das heißt, unsere Seelsorgenden kennen ihre eigenen Gefühle, auch was Einsamkeit betrifft. Sie reflektieren ihre privaten Erlebnisse zu den verschiedenen Themen der Ausbildung.

Bspw. fühlte sich jemand einsam, als er beim ersten Tanz-Abend nicht aufgefordert wurde oder jemand hat im Freundeskreis erlebt, dass er mit seiner Meinung alleine war. Dann fühle ich mich auf einmal nicht mehr zugehörig zu dieser Gruppe, bei der ich aber dabei sein will. Das ist ein bestimmtes Isolationsgefühl, was sehr, sehr unangenehm ist und das einem auch deutlich macht, wie brüchig Beziehungen manchmal sind oder wie zerbrechlich ein Glücksgefühl sein kann.

Manchen geht es auch so, wenn sie in Konflikte geraten. Es kann zu dem Gefühl kommen: Ich bin raus aus dieser Gruppe, aus diesem Beziehungsgeflecht. Das sind Erfahrungen, anhand derer man selbst schauen kann: Wie geht es mir damit?

Außerdem haben unsere Ehrenamtlichen fortlaufend die Möglichkeit, sich in Kleingruppen auszutauschen. Einmal im Monat wird mit professioneller Supervision darauf geschaut, was die Seelsorgenden aktuell beschäftigt. Und wir bieten ihnen eine Frühjahres- und eine Herbsttagung zu verschiedenen Themen an. Diese nutzen viele für sich zur Persönlichkeitsentwicklung.

Es ist sehr wichtig, sich in den Gruppen zum Austausch zu treffen – um aufzutanken, aber auch um zu lernen, sich abzugrenzen, sich gleichzeitig aber auch hinzuwenden.

Diese Balance ist wichtig, aber nicht einfach. Wirklich für einen Menschen da zu sein und mit ihm oder ihr mitzufühlen, jedoch ohne in diesen Schmerz voll mit reinzugehen und dann selbst davon sehr betroffen zu sein, ist aber ein machbarer Lernprozess.

Das hört sich sehr anspruchsvoll an, für jedes einzelne Gespräch diese Balance zu finden. Können die Ehrenamtlichen am Seelsorgetelefon den einsamen Menschen auch etwas raten? Was kann jeder in einer solchen Situation für sich selbst tun?

Das kommt immer auf das einzelne Gespräch an, ob ein Mensch etwas geraten bekommen möchte. Manche brauchen erst einmal jemanden, der sie vorurteilsfrei annimmt. Jemanden, der zuhört und sagt »Aha, so ist das für Sie«. Und andere möchten einen Rat erhalten. Dann kann man zusammen überlegen, ob es Zeiten im Leben gab, in denen es anders war und welche Lösungsideen es gibt.

Oder wir können bspw. darauf hinweisen, dass es in Dresden verschiedene Selbsthilfegruppen gibt. Dort kann man Menschen treffen, die ein ähnliches Thema haben und zu denen man sich zugehörig fühlen kann und damit weniger isoliert. Wir können auch gemeinsam überlegen, wie eine bestimmte Situation aushaltbar sein kann.

Es gibt Anrufende, die krank sind und nicht mehr aus dem Haus kommen. Oder sie sind mit ihren Kindern zerstritten, die sie nicht mehr besuchen kommen. Da kann es helfen, gemeinsam darüber zu sprechen, ob da vielleicht doch noch etwas möglich ist, indem man bspw. den ersten Schritt macht. Anstatt zu sagen: »Nein, die müssen auf mich zukommen!« noch mal zu schauen, ob man selbst versöhnlich auf die anderen zugehen kann.

Ich glaube, Menschen tut es gut, mit sich selbst befreundet zu sein. Das ist vielen nicht so geläufig oder vertraut.

Gibt es etwas, was Sie sich wünschen von der Gesellschaft? Vielleicht auch im Umgang mit Einsamkeit oder im Umgang mit einsamen Menschen?

Es wäre schön, wenn es mehr offene Räume gäbe, gerade für ältere Menschen. Diese legen keine großen Wege mehr zurück, sondern bleiben mit ihren Aktivitäten eher im vertrauten Wohnumfeld. Im Sommer hatte ein Beratungs- und Begegnungszentrum für Seniorinnen und Senioren der Diakonie Dresden auf der Hauptstraße einen Raum gemietet und älteren Menschen als Begegnungsort für gemeinsame Aktivitäten und Treffen angeboten. Wir konnten in der Zeit reges Treiben erleben.

Es hilft, die eigene Situation anzunehmen und »vor der Haustür« zu sein. Ein geschenktes Lächeln ist schön, vielleicht in der Straßenbahn oder an der Haltestelle, statt aufs Handy zu schauen. Wenn ich jemanden offen anschaue, wird das wahrgenommen. Dann sprechen mich manchmal fremde Menschen an und erzählen etwas von sich.

 

→ Das Gespräch führte Liane Rohayem-Fischer

Info TelefonSeelsorge

Die ökumenische TelefonSeelsorge Dresden bietet Menschen in schwierigen Lebenslagen oder belastenden Krisen rund um die Uhr die Möglichkeit für ein sofortiges anonymes Gespräch. Sie befindet sich in der Trägerschaft der Diakonie Dresden und wird von der Evangelisch-Lutherischen Landeskirche Sachsens, vom Bistum DresdenMeißen, von der Landeshauptstadt Dresden und vom Kommunalen Sozialverband Sachsen gefördert.

2023 hat die TelefonSeelsorge Dresden mehr als 8.000 Gesprächsstunden geleistet. Um den 24-Stunden-Service am Telefon, via Chat und App weiterhin gewährleisten zu können, werden fortlaufend ehrenamtliche Mitarbeitende gesucht. Interessierte können sich jederzeit gern unter (0351) 49 40 030 oder telefonseelsorge@diakonie-dresden.de melden.

Weitere Informationen zur TelefonSeelsorge Dresden und zur Ausbildung von Ehrenamtlichen finden Sie hier.

KATHARINA PRUGGMAYER-GRUHN
koordiniert mit einer Kollegin die TelefonSeelsorge Dresden
mit derzeit ca. 80 Ehrenamtlichen.

LIANE ROHAYEM-FISCHER
Leiterin Marketing und Kommunikation der Stiftung Frauenkirche Dresden