»20 Jahre Frauenkirche Dresden«

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20 JAHRE FRAUENKIRCHE – eine außergewöhnlich normale Kirche

Viele erinnern sich noch lebhaft an die Jahre 2006 und 2007: an die langen Schlangen auf dem Dresdner Neumarkt, an die staunenden, freudigen und ungläubigen Gesichter vor der Frauenkirche. Menschen aus Dresden, aus ganz Deutschland und weit darüber hinaus kamen, um das »Wunder« mit eigenen Augen zu sehen – den Wiederaufbau eines Wahrzeichens, das jahrzehntelang wie ein hohler Zahn inmitten der Stadt stand, mahnend in seiner Zerstörung, nun aber strahlend als Zeichen der Hoffnung und Versöhnung.

Am 30. Oktober 2005 wurde die Frauenkirche feierlich neu geweiht. So außergewöhnlich emotional wie der Wiederaufbau selbst waren auch die Jahre danach: 2006 und 2007 kamen 2,6 Millionen bzw. 2,4 Millionen Besucher*innen in das Gotteshaus – durchschnittlich 6.600 Menschen pro Tag. Menschen, die berührt waren – von der Architektur, der Geschichte und der besonderen Aura dieses Ortes.

Die Frauenkirche war – und ist bis heute – ein Symbol für vieles, und wahrscheinlich für jede und jeden etwas anderes: für den Neubeginn nach der Zerstörung, für die deutsche und europäische Wiedervereinigung, für zivilgesellschaftliches Engagement und die Kraft bürgerschaftlicher Verantwortung. Und sie steht als geistlicher Ort inmitten einer weitgehend säkularen Gesellschaft. Es war kein Zufall, dass gerade eine Kirche im Osten Deutschlands zu einem der bedeutendsten Zeichen für Frieden und Versöhnung wurde – ein Ort, der über den einzelnen Menschen hinausweist, Hoffnung gibt und Mut macht.

Die Anziehung bleibt die Herausforderungen wachsen

Auch wenn sich die mediale Aufmerksamkeit und die Menschenmengen der ersten Jahre naturgemäß verringert haben – das Interesse an der Frauenkirche ist nach wie vor groß. Im Jahr 2023 zählten wir 2,2 Millionen Gäste, im Jahr 2024 rund 2 Millionen – das sind immer noch über 5.000 Besucher*innen pro Tag. Besonders die Adventszeit zieht viele an: An einem einzigen Samstag im Dezember 2024 kamen etwa 17.000 Menschen. Eine logistische und personelle Herausforderung – und zugleich ein lebendiger Beweis für die ungebrochene Anziehungskraft dieses Ortes.

Was sich über die letzten 20 Jahre verändert hat, ist die Art der Teilhabe: Die Zahl der Besucher*innen geistlicher Angebote wie Andachten und Gottesdienste sank von rund 600.000 im Jahr 2006 auf etwa 115.000 im Jahr 2024. Diese Entwicklung spiegelt gesellschaftliche Veränderungen wider – etwa den Rückgang der Kirchenmitgliedschaften. Dennoch sind diese Zahlen im Vergleich immer noch hoch und zeigen, dass dieser Ort auch Menschen erreicht, die keine kirchliche Bindung haben.

Auch die Zahl der Konzertbesucher*innen ist in den vergangenen zwei Jahrzehnten zurückgegangen – von 260.000 im Jahr 2006 auf 57.000 im Jahr 2024. Trotzdem bleiben musikalische Veranstaltungen ein zentrales Standbein der Frauenkirche. Sie sprechen in einer Sprache des Friedens und der Versöhnung, ganz ohne Worte, bauen Brücken zwischen Kulturen und Religionen und schaffen ein einzigartiges Klang-Raum-Erlebnis, das sich vom klassischen Konzerthaus unterscheidet.

Gott sei Dank! Dass weniger Gäste kommen, liegt auch an der bewussten Entscheidung, die Zahl der Konzerte zu reduzieren – zugunsten klarerer programmatischer Linien, um die Musik gezielt als Medium der Friedens- und Versöhnungsarbeit einzusetzen.

Offen für alle - aber nicht ohne Ihre Hilfe

Unverändert groß ist das Interesse an der Offenen Kirche: 1,4 Millionen Besucher*innen im Jahr 2006 – 1,5 Millionen im Jahr 2024. Für viele – und für uns – ist der freie Zugang zur Kirche ein unschätzbares Gut. Ein Raum, der bewusst ohne Eintritt offensteht. Dieses Prinzip echter Offenheit ist Kern unserer Stiftung – Ausdruck gelebter Willkommenskultur und bürgerschaftlichen Handelns.

Doch um es zu bewahren, sind wir auf Ihre Unterstützung angewiesen. Im Jahr 2024 spendete jeder Gast der Offenen Kirche durchschnittlich 30 Cent. Das reicht nicht aus. Damit die Frauenkirche offen, lebendig und für alle zugänglich bleiben kann, bitten wir jede und jeden: Geben Sie, was Ihnen möglich ist – und was Ihnen der Besuch dieses Ortes bedeutet.

Der Kuppelaufstieg bleibt ein Highlight – mit jährlich 210.000 bis 220.000 Besucher*innen. Daran hat sich seit 2009 wenig geändert. Nur die allerersten Jahre nach der Weihe zählten noch mehr Besucher*innen: 2006 erklommen 350.000 Gäste den einzigartigen Weg über die Wendelrampe mit ihren vielfältigen Einblicken in den Kirchraum und der grandiosen Rundumaussicht von der Laterne. Die Perspektivweitung, die man auf der Plattform buchstäblich erleben kann, ist und bleibt besonders. Nicht ohne Grund wurden hier bereits Geburtstagsüberraschungen gefeiert – und Heiratsanträge gemacht.

Gemeinschaft trägt auch finanziell

Die Stiftung Frauenkirche lebt bürgerschaftliches Engagement par excellence. Freiwillige Spenden, Zustiftungen, Nachlässe – sie machen unsere Unabhängigkeit möglich. Ein hohes Gut, das wir bewahren möchten. Ergänzt wird dies durch Zuwendungen der Gesellschaft zur Förderung der Frauenkirche Dresden e. V., durch Unterstützung von Unternehmen sowie durch Einnahmen aus Konzerten, Führungen, Kuppelaufstiegen und aus der Verwaltung des dauerhaft zu erhaltenden Stiftungskapitals, das viele Privatpersonen und Institutionen beigesteuert haben und weiter beisteuern.

Dieses selbsttragende Prinzip erlaubt uns, als Ort des Friedens und der Versöhnung unabhängig von politischen oder kirchlichen Strukturen frei zu agieren – ein Modell zivilgesellschaftlicher Verantwortung. Wir sind dankbar, dass sich die Spenden- und Kollektenerträge seit 2008 – mit leichten Schwankungen – auf stabilem Niveau bewegen. Die Jahre 2006/2007 waren noch stark geprägt von der Aufbruchsstimmung nach der Weihe. Seitdem haben sich die Einnahmen auf rund 60 % des damaligen Spendenvolumens eingependelt.

Doch die Herausforderungen wachsen: Die Einnahmen bleiben zwar stabil, aber die Ausgaben steigen – vor allem in den letzten fünf Jahren deutlich. Personal- und Energiekosten haben sich seit der Weihe je um über 50 % erhöht. Die Ausgaben für Reparatur und Wartung, die nötig sind, um das stark beanspruchte Gebäude in seiner wiedererstandenen Pracht zu erhalten, sind sogar um zwei Drittel gestiegen. Viele Bestandteile der Kirche, insbesondere technische Anlagen, sind inzwischen in die Jahre gekommen und entsprechen nicht mehr heutigen Standards. Allein für die dringend notwendige Erneuerung der Akustikanlage im Hauptkirchenraum rechnen wir mit einem mittleren sechsstelligen Betrag.

Die Arbeit wächst – und braucht Rückhalt

Zugleich wachsen auch unsere inhaltlichen Aufgaben: Unsere Friedens- und Versöhnungsarbeit entwickelt sich weiter, nimmt neue Formen an und greift aktuelle Fragen auf. Ausstellungen wie Gaia (2023), Stronger than bombs (2024) und Gegen das Vergessen (2025) bringen die Geschichte der Frauenkirche in den Kontext der Gegenwart – und sprechen auch junge Generationen an, für die die Ruine nur noch eine Erzählung ist. Diese Arbeit ist notwendig. Und sie braucht Rückhalt – ideell wie finanziell.

Frauenkirche der Zukunft

Der Wiederaufbau, für den so viele Menschen gespendet haben, war ein sichtbares, wachsendes, Hoffnung stiftendes Projekt. Heute sind wir nicht weniger auf Unterstützung angewiesen – auch wenn das äußere Gebäude längst zur Selbstverständlichkeit geworden ist. Die Frauenkirche ist lebendig: ein Ort aktiver Friedens- und Versöhnungsarbeit, ein Wahrzeichen für Dresden und Sachsen, ein Klangraum, ein Touristenmagnet, ein Ort für persönliches Gebet. Und sie wächst weiter – nicht so sichtbar wie damals, aber nicht minder zukunftsgerichtet.

Zwanzig Jahre nach ihrer Weihe ist die Frauenkirche kein Neubau mehr – aber auch keine gewöhnliche Kirche. Sie ist zu einem Ort des Alltags wie der Ausnahmemomente geworden. Ihre anfängliche Sensation hat sich verwandelt in nachhaltige Präsenz. Ihre Mauern tragen Geschichten von Verlust und Wiederaufbau, von Glauben und Zweifel, von Hoffnung und Verantwortung. Und in den letzten zwei Jahrzehnten sind viele neue Geschichten hinzugekommen.

Gerade diese Mischung macht ihre besondere Stärke aus: Die Frauenkirche ist eine außergewöhnlich normale Kirche. Sie gehört zu Dresden – und weit darüber hinaus. Sie fordert heraus, bietet Raum, verbindet. Sie spricht Menschen an, ohne zu vereinnahmen, und lädt ein, ohne Vorgaben zu machen. Wie wird die Frauenkirche in weiteren zwanzig Jahren aussehen? Welche Angebote wird sie machen? Wenn sie bleibt, was sie geworden ist – offen, ehrlich, berührbar –, getragen von vielen, im Geist der Bürgerschaft, dann wird sie auch in Zukunft ein Ort der Zukunft sein.

MARIA NOTH
Geschäftsführerin Stiftung Frauenkirche Dresden