»Mut und Demut«

20 JAHRE NACH DER WEIHE - WAS MACHT DAS MIT DEM GEBÄUDE?

2025 ist ein Jahr der Erinnerung an die wieder aufgebaute Frauenkirche und deren Weihe am 30. Oktober 2005.

Während der äußere Steinbau und die Anlagentechnik, beides Stimmungsgeber für den Zustand der Frauenkirche in den vorangegangenen Ausgaben beschrieben wurden, soll jetzt der Blick auf
den Innenraum gerichtet werden. Viele Menschen haben es leichter, sich eine äußere Form in Erinnerung zu rufen, als einen Innenraum zu skizzieren, der, wenn er gut beschrieben sein will, detailreicher ausfallen muss.

Auch wenn der Zentralraum der Frauenkirche mit den übereinander angeordneten Emporen und dem mit dem Blick durch die Kuppeln relativ leicht erfassbar ist, ist er es im Detail und mit seiner durch den archäologischen Wiederaufbau hinzugekommenen Bedeutungen doch nicht. Was fällt also demjenigen, der sich noch an die gerade eben wiedereröffnete Frauenkirche von 2005 erinnern kann, jetzt auf?

Als erstes, so meine ich, die Patina, die Benutzungsspuren. Der Sandstein des Kirchenschiffs ist nahezu durchgängig grau geworden. Mit Flecken, die nicht mehr ohne den Einsatz starker Chemie
entfernt werden können und daher im Stein verbleiben. Die vielfach nachgehobelten oberen Zierleisten des Kirchenschiffgestühls sowie die vielen Macken im Holz und Stein, die der Ausbau der Kirchenbänke für die Konzertnutzung doch mit sich bringt.

Die Stellen an der Chorschranke, an denen man sich gern anlehnt und deren Farbfassung weitestgehend durchgerieben sind wie auch an den Kirchrauminnentüren. Aber es geht auch um die weniger wahrnehmbaren Veränderungen, die das Licht hervorruft. Das Gestühl ist dunkler geworden und auch ein wenig bräunlicher und damit der Gesamteindruck etwas rötlicher. Auf dem Innenputz zeichnen sich die dahinterliegenden Steinflächen ab, besonders in den Kuppelanlaufgaupen und in der Wendelrampe.

Der Schmutz hat sich weniger stark abgebildet, als man vermuten könnte. Weil die kontinuierliche Reinigung dafür sorgt, dass der Staub, der Schmutz an den Oberflächen weniger umfänglich anhaften kann, fehlt nahezu der Eindruck einer sichtbaren Verschmutzung. 2024/2025 mussten erstmals wieder nach 26 Jahren Gerüste für die Überwachung- bzw. die Restaurierungsarbeiten der Apsispfeilerkapitelle, die 1998 im Rahmen des Wiederaufbaus restauriert worden waren, gestellt werden.

Es musste sicher gestellt werden, dass keine Stuckteile abgängig sind, weil die teilweise enthaltenen Magnesiumsalze als bauschädigende Salze Absprengungen von Oberflächen verursachen können. Die Reinigung der Fußböden hat viele Prozesse erfordert. Wichtig war zu definieren, mit welcher Art von regelmäßiger Pflege ein ausreichender Schutz für die Holzböden gesichert werden kann, damit der Restaurierungsaufwand auf die Jahre hin betrachtet gering bleiben kann.

Auch wurde mit der Reinigungsfirma zusammen beschlossen, die Auswahl von Chemikalien zugunsten ökologischerer Reinigungsmittel zu verändern und die Menge an eingebrachtem Wasser wo immer möglich zu reduzieren.

Hörbar wird es auch, dass die Frauenkirche in das dritte Jahrzehnt ihrer Nutzung tritt. Die Lautsprecher, die damals der neueste und beste Stand der Technik waren, sind immer noch gut, aber vielfach anfälliger, häufiger ausgebaut und zur Reparatur verschickt. Mikrofone von 2005 wurden teilweise schon durch modernere Technik ersetzt, die analoge in eine digitale Funkstrecke ausgetauscht.

Sichtbar wird anhand des künstlichen Lichts, welche Veränderungen sich ergeben haben. Wer genau hinsieht, sieht kaum noch herkömmliches Licht aus Glühbirnen, Leuchtstoffröhren etc. Gut 90 Prozent der Leuchten sind seit 2011 mit LED-Einsätzen versehen worden. Kamen die Menschen der Barockzeit noch mit natürlichem oder alternativ mit Kerzenlicht aus, redete man in den 90-iger Jahren von warmen, bläulichen, gelblichen, kalten Licht etc..

Heute spricht man von Licht in Kennzahlen, nämlich der Lichtfarbe in ° Kelvin. Aber das Licht als Ganzheit verändert nicht nur die Farbtöne zum Beispiel der häufig hängenden Paramente zu den
weniger genutzten, sondern es verändert auch Zustände und löst technische Prozesse aus. Wer die Glasfenster der Kirchrauminnentüren auf der Süd- und Nordseite schon einmal näher betrachtet hat, wird festgestellt haben, dass sich an einigen Blasenbildungen von den Seiten zur Fenstermitte vollziehen.

Technologisch löst das UV-Licht die Gießharz-Klebemasse zwischen historischem Fensterglas und dahinterliegender Akustik- und Wärmedämmverglasung an und verringert dadurch die Verbundwirkung. Diese Schönheitsfehler beeinträchtigen zwar den Blick durch die Türen, aber sie stellen keine dringende Notwendigkeit für eine Reparaturmaßnahme dar.

Wahrnehmbar ist vielleicht für den einen oder die andere auch, dass vieles in der Kirche normaler, selbstverständlicher geworden ist. In den Hintergrund gerückt sind die Überlegungen, ob es sich die Stiftung dauerhaft leisten kann, auf 10 Sitzplätze pro Gottesdienst oder Veranstaltung im Seitenschiff B zu verzichten, um den Platz für das alte Turmkreuz zur Verfügung zu stellen, damit es jedem Gast der Kirche ein Zeichen sein kann.

Auch stellt sich nicht mehr die Frage, ob eine Kerzenablage samt Erinnerungsbuch in einer evangelisch-lutherischen Kirche als angemessen zu betrachten ist. Es ist vielmehr festzustellen, dass dieser Ort innerhalb der Frauenkirche für viele Menschen von großer persönlicher Bedeutung ist. Die Beschreibung, der Kirchraum seit zu »bunt« ausgefallen, ist der Kenntnis gewichen, dass Barockräume immer schon sehr farbige Innenraumarchitekturen im Wechselspiel mit dem natürlichen Licht als architektonischem Element darstellten.

Der Altar mit seiner »geheilten Oberfläche und seinen Verwundungen auf den zweiten Blick« ist für viele verständlicher geworden. Die Briten und das neue Turmkreuz sind integriert. Dass man unbequemer auf den Kirchbänken sitzt als in einem neuen Opernhaus ist auch kein Grund mehr für eine mit Einschreiben an die Stiftung versendete Forderung nach Eintrittspreisrückerstattung.

Feststeht, dass der Wiederaufbau der Frauenkirche die Frauenkirche zu einem Ort des Lebens gemacht hat. Jeder Generation wird es damit grundsätzlich ermöglicht, den Ort auf ihre Weise zu nutzen und weiter zu entwickeln. Wahrnehmbar ist, dass sich das Leben in der Frauenkirche heute im Vergleich zu in den ersten Jahren nach der Weihe deutlich verändert hat.

Das ist für die Generation der Wiederaufbauer und der Verantwortlichen der ersten Nutzungsjahre ähnlich schwierig wie für die älteren Menschen, die das erste Mal nach der Weihe in die Kirche kamen und ihre alte dunkle Kirche nicht mehr wieder fanden.

Aber wäre die Frauenkirche eine glasüberdachte Erinnerungsstätte geworden, wäre eine gegenwarts- und lebensorientierte Frauenkirche gar nicht vorstellbar. Gut, dass der Wiederaufbau gewagt wurde, dass er vollendet werden konnte und dass das Leben darin vielgestaltig und veränderbar ist und sein wird.

In einem nächsten Artikel in wiederum 20 Jahren wird das hier Gesagte so selbstverständlich sein, dass es vermutlich keiner Erwähnung mehr bedürfen wird. Also lassen Sie uns weiter beobachten und staunen, was sich alles in und an der Kirche verändert und was das in uns und mit uns macht.

THOMAS GOTTSCHLICH
Leitender Architekt