»20 Jahre Frauenkirche Dresden«
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(Un-)Sichtbarer Heiligenschein
Der 1. November – ALLERHEILIGEN – aus evangelischer Perspektive
»HEILIGENLEGENDEN LESE ICH
AM LIEBSTEN VON HINTEN,
IN DER HOFFNUNG, AM ENDE EINEM
MENSCHEN ZU BEGEGNEN.«
Mit diesem Aphorismus spricht der Lyriker Stanislaw Lec all jene an, die der Verehrung von Heiligen skeptisch gegenüberstehen. Evangelische Christen teilen diese Skepsis. Allerheiligen, jährlich am 1. November begangen, ist in der römisch-katholischen Kirche Hochfest und Feiertag. An Allerheiligen gedenken katholische Christ*innen ihrer Heiligen, also der Menschen, die besonders vorbildlich in der Nachfolge Jesu Christi gestanden und das Wort Gottes verbreitet haben, viele unter Einsatz ihres Lebens – und dafür vom Papst heiliggesprochen wurden.
Die Ursprünge des Festes reichen bis ins 4. Jahrhundert als Märtyrer-Gedächtnis zurück. Heute ist Allerheiligen vor allem ein Fest, an dem Gläubige all jener gedenken, die beispielgebend ihren Glauben gelebt haben, auch solcher, die nicht offiziell zum Kreis der Heiliggesprochenen gehören. Martin Luther erkannte an, dass Heilige für Christinnen und Christen eine orientierende Funktion haben können, die einer wachsenden Frömmigkeit dient.
Die Verehrung von Heiligen und ihre besondere Rolle als Vermittler und Fürsprecher bei Gott lehnt er aber konsequent ab. Martin Luther sah in Christus den einzigen Mittler zwischen uns und Gott. Durch Gebet und Glauben gewährt Christus einen unmittelbaren Zugang zum himmlischen Vater. Das eint die Gemeinschaft der Gläubigen. Daher hat der katholische Feiertag Allerheiligen am 1. November für Evangelische einen anderen Akzent – und einen anderen Namen: Gedenktag der Heiligen. Paulus nennt in seinen Briefen alle, die an Christus glauben, »Heilige«.
Der Spruch des Tages aus dem Epheserbrief (2,19) lenkt den Blick auf die heilige und heiligen de Gemeinschaft aller Gläubigen:
»SO SEID IHR NUN NICHT MEHR GÄSTE UND FREMDLINGE,
SONDERN MITBÜRGER DER HEILIGEN UND GOTTES HAUSGENOSSEN.«
Und im Hebräerbrief (13,7) wird aufgefordert:
»GEDENKT AN EURE LEHRER, DIE EUCH DAS WORT GESAGT HABEN;
IHR ENDE SCHAUT AN UND FOLGT IHREM GLAUBEN NACH.«
Das gibt zwei wesentliche Aspekte dieses Gedenktages wieder: Das Gedächtnis der Heiligen führt uns das Wirken Gottes in Zeit und Ewigkeit vor Augen. Wir sehen, welche Gnade Gott unter uns verströmt, wie seine Botschaft beispielgebend durch Wort und Tat verbreitet und geglaubt wird. Und wir sind hin eingenommen in einen unaufhörlichen Strom aller Heiligen ohne Anfang und Ende, und in die Gemeinschaft der Kirche, denn auch wir sind Heilige, von Gott zu seinem Dienst berufen.
Mir ist eine Erzählung sehr lieb geworden, weil sie im wahrsten Sinne anschaulich vom »Heiligenschein« spricht:
Ein kleiner Junge kommt mit seiner Mutter an einer Kirche vorbei. Er schaut an der Fassade hoch und sagt: »Mama, schau mal, die großen Fenster sind ja ganz dunkel, die sehen aber gar nicht schön aus.« Daraufhin geht die Mutter mit ihm in die Kirche hinein. Die Fenster, die von außen ganz stumpf und grau aussahen, leuchten hier strahlend bunt.
Der Junge staunt. Über dem Altar sieht er ein auf fallend schönes Fenster – mit vielen Figuren. Und durch eine Figur strahlt gerade genau die Sonne hindurch, so dass sie besonders hell wirkt. »Mama, wer ist das?« »Das ist ein Heiliger, der Heilige Franziskus.«
Ein paar Tage später fragt die Religionslehrerin in der Schule: »Wer kann mir sagen, was ein Heiliger ist?« Zuerst Schweigen im Klassenzimmer. Dann meldet sich der Junge: »Ein Heiliger ist ein Mensch, durch den die Sonne scheint!«
Mir geht es anders als dem skeptischen Stanislaw Lec. Ich widme mich gern den Lebensläufen der Heiligen, sehe schon am Anfang der Erzählungen die Menschen mit ihren Schwächen und Stärken und lasse mich von ihnen sozusagen aus der Finsternis ins Licht führen.
Sie mögen nicht fehlerfrei gewesen sein, und ihre Biografien sind wohl manches Mal von ihren Anhänger*innen geschönt worden – dennoch gibt es da einen roten Faden in ihrem Leben, an dem ich mich orientieren kann, der mich ermutigt, ihrem Beispiel zu folgen.
Pfarrerin ANGELIKA BEHNKE
Frauenkirchenpfarrerin