Freiheit – Sicherheit

Künstlerische Freiheit

NACHGEFRAGT! Interview mit Andrea Weippert, Pressesprecherin der HfBK

Die Hochschule für Bildende Künste (HfBK) Dresden ist eine der ältesten Ausbildungsstätten für Bildende Kunst in Europa. An der Akademie studieren derzeit ca. 550 Studierende in fünf Studiengängen.

In welcher Weise beeinflusst das aktuelle Zeit geschehen, Kriege, Krisen, neue Technologien Ihrer Meinung nach die künstlerische Freiheit? Welche Fragestellungen und Herausforderungen bedeutet das für junge Künstlerinnen und jene, die deren Entwicklung begleiten?

Ich glaube, dass wir uns gegenwärtig intensiv mit dem auseinandersetzen müssen, was Kunstfreiheit eigentlich bedeutet. Ich frage mich, ob wir sie für zu selbstverständlich halten. Kunstfreiheit ist im deutschen Grundgesetz verankert und bei uns sehr weit gefasst, anders als in vielen anderen Staaten. Mir scheint, daß viele Menschen dieser Freiheit in gewisser Weise überdrüssig geworden sind.

Und es beunruhigt mich, wenn ich aktuelle Entwicklungen weltweit beobachte, und wahrnehme, dass dieser Freiheitsraum an diversen Stellen zunehmend eingeschränkt wird. Denn auch wenn ich davon überzeugt bin, dass die gesetzlichen Rahmenbedingungen einen stabilen Rahmen vorgeben, so gibt es doch auch bei uns die Möglichkeit, indirekt über den Entzug von finanziellen Mitteln in Inhalte einzugreifen und damit die Freiheit einzuschränken.

Im letzten Jahr erschien eine Studie, die vom Institut für Auslandsbeziehungen veröffentlicht wurde, welche sich justament mit der künstlerischen Freiheit beschäftigt. Der Titel lautet »Das fragile Gefüge der künstlerischen Freiheit«.

Sie hat sich mit den globalen Entwicklungen auseinandergesetzt und zeigt auf, dass die Freiheitsräume an vielen Stellen schrumpfen. Umso wichtiger sind daher all jene, die immer wieder dafür kämpfen, dass die Grenzen dafür nicht verschoben werden.

Nach wie vor gibt es viel zu viele Orte, an denen sie nicht in dem Maße existiert, wie es nötig wäre. Ich finde es unglaublich wichtig, dass auf die Konsequenzen des Freiheitverlustes immer wieder hingewiesen wird, dass man nicht einknicken darf, wenn es Gegenwind gibt. Was nicht bedeutet, dass Kunst »Alles« darf. Es gibt Grenzen, die festgelegt sind.

In dem Moment, in dem andere, verfassungsmäßig gewährleistete Rechte damit kollidieren, da endet die Freiheit der Kunst. Wenn diese Grenzen von Kunstschaffenden ausgelotet werden, ist es vielleicht manchmal anstrengend und in institutionellen Kontexten herausfordernd, aber wir sollten dies nicht als Last begreifen, sondern tatsächlich als unverzichtbar.

Ich glaube, dass dieser großartige Freiheitsraum, der uns für die Kunst - und auch die Wissenschaft - gegeben ist, gerade in Krisenzeiten ganz bewusst und sehr reflektiert ins Auge genommen werden muss.

Die Herausforderung für Kunstschaffende besteht nicht nur darin aktuelle Fragen aufzu greifen und künstlerische Übersetzungen zu entwickeln, sondern zu erkunden, wie fülle ich diese Freiheit aus?

Für eine lebendige, funktionierende Demokratie ist dies, wie die Gründerväter- und mütter der Bundesrepublik es sehr gut erkannt haben, fundamental. Kunst kann mit dazu beitragen, sich mit Themenfeldern auseinanderzusetzen, die man lieber meiden würde. Sie kann neue Perspektiven eröffnen – und das gerade auch dann, wenn die künstlerischen Mittel befremden und irritieren.

Die Kunstfreiheit, die uns so selbstverständlich scheint, ist eine Errungenschaft, die die Vielstimmigkeit eines Gemeinwesens und damit auch kulturellen Reichtum schützt. In den Debatten um den Erhalt von Wohlstand und Sicherheit sollte mitgedacht werden, dass Kunst und Kultur Gemeinschaften verbinden kann.

In einer Zeit, in der Sicherheit, ob politisch, sozial oder ökologisch, ein zentrales Thema ist, welche Rolle kann Kunst dabei spielen, Sicherheit neu zu denken oder in Frage zu stellen?

Kunst ist ein Feld, in dem man sich kontinuierlich mit dem Thema der Sicherheit auseinandersetzen muss. Wenn man ein künstlerisches Studium beginnt, dann erleben viele Studierende zunächst eine ganz große Verunsicherung, weil das Abitur normalerweise nicht auf dieses sehr besondere Studium mit seinen spezifischen Freiheiten vorbereitet.

Zugleich ist eine Kunsthochschule eine Art Schutzraum, in dem die Studierenden sich ausprobieren, mit Gleichgesinnten austauschen und auch scheitern dürfen. Man könnte sagen, dass ein Merkmal des künstlerischen Tuns, die permanente Auseinandersetzung mit dem Wandel ist – dem individuellen und dem der Welt, die uns umgibt.

Und daß Sicherheit durchaus auch ökonomisch gedacht werden muss. Was im Übrigen ein großes Thema für die Studierenden ist.

Ich glaube, dass Kunst in gewisser Weise lehren kann, wie viele unterschiedliche Möglichkeiten es gibt, mit Unvertrautem und mit Ungewissheiten umzugehen. Sie kann uns auch helfen, eigene Widerstände zu erkennen und mit ihnen umzugehen. Und gleichzeitig braucht das Publikum von Zeit zu Zeit Begleitung. Manchmal helfen »Übersetzungen« für künstlerische Ansätze, die sich uns nicht so leicht erschließen.

Zugleich sollte man auch zulassen, dass man eine künstlerische Arbeit nicht versteht, denn Kunst ist nicht nur dann relevant und impulsgebend, wenn sie verstanden wird oder eine Funktion hat. Wir sind in vielen Bereichen unseres Lebens von Prinzipien wie
Ursache und Wirkung oder von Effizienzdenken geprägt.

Beim Kunsterleben werden auf uns selbst zurückgeworfen und die uns vertrauten kausalen Verknüpfungen und Deutungen funktionieren oft nicht, und das kann uns verunsichern.

Sehen Sie in der Kunstvermittlung, eine Aufgabe um für Freiheit zu sensibilisieren oder Räume zu schaffen, in denen Unsicherheit produktiv werden darf?

Zuerst möchte ich betonen, dass Kunst keine politische Bildung ist. Doch Kunst kann dazu beitragen, ein Bewusstsein für politische Systeme und Strukturen zu entwickeln. Kunst wurde, das kann man nicht oft genug sagen, in der Geschichte oft genug instrumentalisiert und das kann auch in der Gegenwart und Zukunft passieren.

Ich bin Transferbeauftragte der Hochschule und Leiterin der Öffentlichkeitsarbeit. Mich beschäftigt daher besonders, wie ich Menschen für die Kunst sensibilisieren und interessieren kann.  Dabei geht es nicht nur um die Freiheit der Kunst, oder wie fruchtbar es sein kann, mit Ungewissheiten umzugehen. Die Kunstvermittlung an Kunsthochschulen zielt nicht darauf ab nur Ergebnisse vorzustellen, sondern auch Prozesse und vor allem kunstschaffende junge Menschen sichtbar zu machen.

Kunst machen kann Menschen in einer Art und Weise inspirieren, wie es eben nur die Kunst kann. Der Kunsttheoretiker Stephan Schmidt Wulffen, hat Anfang der 90er Jahre in einer Publikation sinngemäß formuliert, dass Kunst nicht in erster Linie eine Form des intelligenten Problemlösens ist, sondern dass das, was ein Künstler oder eine Künstlerin versucht zu durchdenken Verwandlungsprozessen ausgesetzt ist.

Kunstschaffende machen sich auf den Weg und wissen, dass eine Idee, die sie am Anfang entwickelt haben, im Verlauf des Schaffens ganz anders werden kann. Sie müssen immer wieder neue Entscheidungen treffen, das Ziel und die Methode kann sich ändern und oft müssen sie auch erkennen, dass sie etwas liegen lassen oder sogar zerstören müssen. Für mich bedeutet dies, dass Kunst Menschen mit der eigenen menschlichen Imperfektion, mit Abweichungen und mit dem Unvorhergesehenen in Berührung bringt.

Und das ist irgendwie auch ein Abbild unseres Lebens und eine Form von Freiheit. Wir haben oft die verkürzte Vorstellung, dass ein Abbild von Wirklichkeit eine naturalistische Darstellung, eine Art dokumentarisches Foto sein sollte. Manchmal sind aber die Prozesse sogar wichtiger als das eigentliche Ergebnis.

Und ja, besonders dafür braucht es Menschen, die das vermitteln. Ich nehme es als einen ganz großen Gewinn war, dass ich mich im Rahmen meiner Arbeit mit Studierenden austauschen kann, und sie mir viel erzählen über das, was sie beschäftigt und wie sie ihre künstlerische Sprache entwickeln.

Ich lerne ständig dazu und das ist wirklich ein großes Privileg. Das möchte ich auch gerne an andere Menschen weitergeben. Dabei entsteht eine Nahbarkeit, die Kunsthochschulen in meinen Augen zu ganz besonderen Einrichtungen macht. Dieser Geist ist auch für unsere Gäste immer wieder spürbar. Das schätze ich ganz besonders.

Welche Impulse kann die Kunst zur Gestaltung einer Zukunft geben, in der sich das Bedürfnis nach Sicherheit mit der Wahrung der Freiheit verbindet?

Ich hoffe mittels Neugierde, Schöpfergeist, Geschichtsbewusstsein und Wissen um die Notwendigkeit des Wandels! Schon im 12. Jahrhundert soll Bernhard von Chartres gesagt haben, wir seien »gleichsam Zwerge, die auf den Schultern von Riesen sitzen, um mehr und Entfernteres als diese sehen zu können – freilich nicht dank eigener scharfer Sehkraft oder Körpergröße, sondern weil die Größe der Riesen uns emporhebt.«

Ich glaube, dass es sehr wichtig ist für Kunstschaffende und den Kulturbetrieb ist, historisches Bewusstsein immer wieder zu reaktivieren und zu schulen, weil wir in einem großen Referenzrahmen agieren. Die Kunstschaffenden, die ich kenne, reflektieren intensiv darüber, in welcher Tradition sie arbeiten. Die Beschäftigung mit der Vergangenheit ist Inspiration und Maßstab für das eigene künstlerische Tun.

Beim Blick zurück in die Kunstgeschichte geht es ihnen nicht um populistischen Traditionalismus oder Nationalismus, sondern um den Versuch, überzeitliche, internationale Ansätze und Qualitäten zu erkennen, um diese für die Gegenwart neu zuformulieren.

Ich würde mir wünschen, dass wir auch in anderen gesellschaftlichen Bereichen sowohl mutig nach vorne schauen, als auch die Scheu verlieren, Lösungsansätze aus der Vergangenheit phantasievoll auf ihre Tauglichkeit für die Zukunft zu prüfen.

Das bedeutet nicht, dass Innovation dann keinen Raum findet, im Gegenteil! Vielleicht müssen wir auch mehr als früher bereit sein, unsere Vorstellungen von Sicherheit und Freiheit immer wieder zu verhandeln und dafür einzutreten, denn beides ist eben nicht selbstverständlich.

→ Das Gespräch führte Liane Rohayem-Fischer.

ANDREA WEIPPERT
leitet als Pressesprecherin das Referat Presse- und Öffentlichkeitsarbeit und  
ist Transferbeauftragte der HfBK Dresden.

LIANE ROHAYEM-FISCHER
Leiterin Marketing und Kommunikation der Stiftung Frauenkirche Dresden