Freiheit – Sicherheit
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Friedensbotschaft: Michael. Ein Engel geht auf Reisen
EIN FRIEDENSPROJEKT VON REINHARD PONTIUS/DRESDEN
Nach einer mehr als fünf Jahre währenden und über 7000 Kilometer weiten Reise durch Deutschland und Europa steht der Friedensengel »MICHAEL« derzeit in Oświęcim / Auschwitz. 80 Jahre nach der Befreiung vom Nationalsozialismus haben wir die Engel-Skulptur Anfang Mai 2025 vor dem Zentrum für Dialog und Gebet (CDIM) in Oświęcim aufgestellt, wo sie noch bis Anfang Februar 2026 die Gäste begrüßt.
Hierher kommen Menschen aus aller Welt, vor allem Jugendgruppen, die das ehemalige Vernichtungslager besuchen, Überlebende treffen und in begleiteten Gesprächen ihre Eindrücke verarbeiten. Im Februar 2026 wird der Friedensengel nach Dresden zurückkehren und auf seiner letzten Station in der Frauenkirche zu Gast sein.
Mit »MICHAEL« habe ich eine moderne Interpretation des bekannten Erzengels gewagt: Er steht ganz ohne Waffen da, mit einer offenen Geste, als wolle er sagen: »Hier bin ich, ich bin da für dich, wenn du mich brauchst!« Seiner Vereinnahmung durch einseitige, meist kriegerische Interessen, wie es vor allem im 19. Jahrhundert vielfach geschehen ist (z. B. in seiner Darstellung am Völkerschlachtdenkmal Leipzig) wollte ich eine andere Interpretation entgegensetzen.
Mein Ziel war es, einen freieren, persönlicheren Zugang zu diesem Engel zu ermöglichen. Er steht für mich für eine lichtvolle Kraft, die den einzelnen Menschen in seiner Suche nach Gott und innerem Frieden ermutigen will. So möchte ich mitwirken an einem gewandelten Bild des Erzengels von einem Schutzpatron des Kampfes hin zu einem Engel für Versöhnung und Frieden.
Die knapp drei Meter hohe Engel-Skulptur hat eine besondere Entstehungsgeschichte: 2017/18 habe ich sie aus einer der Eichen gearbeitet, die 2005 vor dem Bau der Dresdner Waldschlösschenbrücke am Elbufer unter Protest gefällt wurden. Nach dem Bau der Brücke verlor Dresden seinen UNESCO-Welterbe-Titel. Der Künstler Michael Grasemann hatte etliche der Stämme gesichert und 2017 zehn Künstlerinnen und Künstler aus ganz Deutschland eingeladen, aus ihnen Engel zu gestalten.
Diese sehr verschiedenen Engel wurden in der Osterzeit 2018 gegenüber dem Dresdner Rathaus aufgestellt. Damit wurden die so verwandelten Bäume als ein Zeichen der Versöhnung an die Stadt zurückgegeben. Die Idee, mit meinem Engel durch Deutschland und Europa zu reisen, entstand 2020 nach dem ersten Corona-Lockdown. In dieser Zeit fragte ich mich, wie und wo ich meine große Skulptur in der Öffentlichkeit zeigen könnte.
Bei einem Besuch in Erfurt traf meine Anfrage nach einer zeitweisen Aufstellung in der dortigen Michaeliskirche auf offene Ohren. Im September 2020 war es so weit: Der Friedensengel »MICHAEL« ging auf Reisen. Über Erfurt, Schwäbisch Hall und Pforzheim reiste er innerhalb Deutschlands an 11 Orte – bis zur Nikolaikirche Leipzig, wo er im Herbst 2022 zu Gast war und dort in das Lichtfest zum Gedenken an die Friedliche Revolution einbezogen wurde.
Danach ging die Reise durch Europa weiter. Vor allem an Orte, an denen es nach den großen Kriegen des letzten Jahrhunderts um Versöhnung geht: Coventry und Penzance in Großbritannien, der Deutsche Soldatenfriedhof in Vladslo/Belgien, der Hartmannswillerkopf in Frankreich, Gostyń und schließlich Oświęcim/Auschwitz in Polen. Nun geht diese besondere Reise zu Ende.
Der Friedensengel »MICHAEL« kommt nach Hause. Zum 81. Gedenktag an die Zerstörung Dresdens am 13. Februar 2026 wird er in der Unterkirche der Frauenkirche aufgestellt. Dort wird er den Besucherinnen und Besuchern von seinen Reise-Erlebnissen »erzählen«. Und er darf weiter zum Nachdenken über Versöhnung und zur Stärkung des inneren Friedens einladen.
Mein Wunsch ist, dass sich auch in Dresden wieder viele Menschen von »MICHAEL« berühren und inspirieren lassen.
Reinhard Pontius
Der Bildhauer Reinhard Pontius lebt und arbeitet in Dresden.
Die 2017/2018 geschaffene Holzskulptur wurde ab
Herbst 2020 an verschiedenen Orten ausgestellt.