Freiheit – Sicherheit
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Sicherheit oder Freiheit – König oder Vagabund?
Beschäftigt mit der Frage, wie ich diesen Text beginne, drehen sich meine Gedanken immer wieder um ein Zitat des früheren (sehr viel früheren) amerikanischen Präsidenten Benjamin Franklin, das korrekt übersetzt lautet:
»WER WESENTLICHE FREIHEIT AUFGEBEN KANN, UM EINE GERINGFÜGIGE UND VORÜBERGEHENDE SICHERHEIT ZU ERLANGEN, VERDIENT WEDER FREIHEIT NOCH SICHERHEIT.«
Und ich frage mich, ob diese harsche Ansage Franklins auch umgekehrt Gültigkeit haben kann: Wer seine grundlegende Sicherheit aufgeben kann, um kurzfristige Freiheit zu erlangen, hat beides nicht verdient. Oder, nach anderen Übersetzungen: wird beides verlieren. Vor allem die Jahre der Corona-Krise haben in vielen Menschen die Frage aufgeworfen, was im Leben wichtig ist, was man (und um welchen Preis) aufgeben oder festhalten möchte.
Ich selber war über 30 Jahre in der sicheren Position des angestellten Architekten, habe die Tage damit verbracht, am frühen Morgen aufzustehen und am späten Nachmittag oder gar am Abend wieder nach Hause zu kommen. Künstlerische Tätigkeiten wie Schreiben oder Musikmachen begleiteten mich zwar, waren aber beschränkt auf die paar wachen Abendstunden oder das Wochenende und hielten sich entsprechend in Grenzen.
Doch je mehr Raum die Kunst in meinem Leben einnahm, je mehr sie meine Seele erfüllten, je mehr ich meine Selbstwirksamkeit und Wertschätzung daraus ziehen konnte, desto mehr belastete mich dieses Ungleichgewicht zwischen Standbein und Spielbein, so dass ich vor knapp zwei Jahren beschloss, diese Balance zu verändern. Ich kündigte meinen Job – zumindest teilweise –, um mehr Raum, mehr Kraft und (wie ich glaubte) mehr Freiheit für die Kunst zu haben.
Habe ich lange darüber nachgedacht? Oh ja, das habe ich. Finanzielle Sicherheit ist etwas, was mich bei allen persönlichen Krisen immer gehalten hat: Niemandem etwas schuldig zu sein, Verpflichtungen nachkommen zu können (Unterhaltszahlungen zum Beispiel) und sich trotzdem das abendliche Glas guten Weines leisten zu können – das fühlte sich gut an. Oder war es eine »Bauchentscheidung«? Ja, auch das.
Und grundsätzlich funktioniert es auch: Ich habe jetzt mehr Zeit zum Schreiben, fahre viel durch das Land, um Konzerte zu spielen... Aber diese vermeintliche Freiheit hat auch eine Kehrseite. Denn statt unbegrenzt der Kunst nachzugehen, statt nur noch mit der Gitarre auf dem Rücken über kleine Bühnen zu tingeln oder in Cafés sitzend Gedichte zu schreiben, bin ich jetzt darauf angewiesen, andere (mir unangenehme) Dinge zu tun.
Ich muss Booking-Anfragen schreiben (von denen nur 10% überhaupt beantwortet werden), ich muss Verträge verhandeln, ich muss Fahrtstrecken gegen Gagen abwägen, ich muss jetzt intensiv vorantreiben, was ich vorher allenfalls nebenbei getan habe: Mich vermarkten – um am Ende des Monats auf das notwendige Geld zu kommen, dass mir durch die Teilzeit-Kündigung fehlt. Diese Notwendigkeit führt zu einem Zustand, den ich nur zögernd »Freiheit« nennen möchte, sondern der durch die fehlende Sicherheit vielleicht eine andere Art von Unfreiheit darstellt.
Es ist fast 38 Jahre her, dass in den östlichen Bundesländern die Menschen auf die Straße gingen – nicht alle, aber viele –, um Freiheit zu fordern. Fehlende Reisefreiheit war das Synonym für die Unterdrückung durch die DDR-Regierung, Meinungsfreiheit kam als Forderung dazu, auch die Freiheit, alles kaufen zu können. Jetzt, fast vier Jahrzehnte später, sind all diese Freiheiten gegeben.
Ein deutscher Pass öffnet nahezu alle Landesgrenzen, hier kann jeder sagen, was er will, ohne Repressalien zu fürchten, und was das Einkaufszentrum am Stadtrand nicht anbietet, gibt es auf Internetportalen zu kaufen. Doch zufrieden sind die Menschen nicht. Überwiegend ist es jetzt die wirtschaftliche Sicherheit, die ihnen fehlt, das Vertrauen, dass sich jemand um sie, um ihre Belange kümmert. Ich verstehe das gut: Denn Freiheit ist ambivalent.
In »Der Steppenwolf« schreibt Hermann Hesse: »Er […]wurde immer unabhängiger, niemand hatte ihm zu befehlen, nach niemandem hatte er sich zu richten, frei und allein bestimmte er über sein Tun und Lassen.[…] Aber mitten in der erreichten Freiheit nahm Harry plötzlich wahr, […] dass er allein stand, dass die Welt ihn auf eine unheimliche Weise in Ruhe ließ, dass die Menschen ihn nichts mehr angingen, ja er selbst nicht, dass er in einer dünner und dünner werdenden Luft von Beziehungslosigkeit und Vereinsamung langsam erstickte.«
Das Aufgeben von Sicherheit verlangt immer, die Verantwortung für sich selbst zu übernehmen. Man kann das eine Unfreiheit nennen. Manchen ist es zu viel, andere wachsen daran. Ich selber bin froh, diesen Schritt aus der Komfortzone heraus gegangen zu sein. Aber die Luft ist manchmal dünn.
Stefan Hasselmann
studierter Architekt seit 2021 in Oldenburg. Nebenbei als Radiomoderator, Musiker sowie Autor und Lektor tätig