»Teilen und Haben«

Kultur für alle - Kultur ist ein Grundrecht

Die 2012 gegründete KulturLoge ermöglicht Menschen durch ihr Engagement kulturelle Teilhabe. Wie eng kulturelle Teilhabe als individuelles Grundrecht mit dem sozialen Status und dem sozialen Teilhaberecht verknüpft ist, macht die gemeinsame Nennung in Art. 22 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte deutlich.

Dort setzt die Arbeit der KulturLoge an, die Menschen dabei hilft, die Hürden beim Zugang zu Kunst- und Kulturveranstaltungen zu überwinden. Und füllt so eine Lücke, die trotz niedrigschwelliger Angebote der derzeit über 75 Kultur- und Sportpartner und vielfältiger Hinweise der 47 Sozialpartner in der Stadt nicht geschlossen werden kann.

Die Autorin trifft den Vorstandssprecher Christian Krentel-Seremet, die Projektleiterin Sindy Rogoll und die Vermittlerin Katharina Riecke, um mehr über die Arbeit der Kulturloge zu erfahren.

CHRISTIAN KRENTEL-SEREMET: Unserer Arbeit folgt einer einfachen Grundidee: Menschen, die ein kulturfern geworden sind und die Hürden beim Zugang zur Kultur zu überwinden haben, meist aufgrund ihrer finanziellen und sozialen Situation, wieder an die Kultur zurückzuführen.

Die Kulturloge ging aus einer Initiative der Politikerin Katja Kipping hervor. Sie hatte Kulturmanager, Interessierte, sozial engagierte Vereine aus Dresden zum Gespräch geladen, um die Idee vorzustellen, auch in Dresden eine Kulturloge zu gründen. Ich war damals kaufmännischer Geschäftsführer beim Staatsschauspiel und hab mich im Vorfeld immer wieder mit der Thematik »Kulturelle Teilhabe von Menschen mit wenig Geld« beschäftigt.

Ein Beispiel: Es gab damals die 1-Euro-Karten, das heißt, jeder, der sozial bedürftig war, konnte sich ausweisen, eine halbe Stunde vor Veranstaltungsbeginn. Und dann für einen Euro mit freier Platzwahl eine Karte kaufen, wenn es noch welche gab.

Die Resonanz war jedoch sehr gering. Mit dieser Perspektive bin ich in die Veranstaltung gegangen und habe verstanden, woran das liegt. Es ist keine finanzielle Frage, sondern eine Frage der inneren Barrieren und Hürden, die die Menschen zu überwinden haben.

Grundsätzlich ist es so, dass es drei Beteiligte in diesem Gebiet gibt. Die wirklich guten und niederschwelligen Angeboten der Kulturinstitutionen, und die vielen Hinweise der Sozialberatungseinrichtungen dazu. Und es gibt die Menschen, die das in Anspruch nehmen könnten– aber alle drei finden nicht zueinander.

Da liegt eine Brachfläche dazwischen und da sind wir reingetreten und begleiten die Menschen bis sie eine Kulturveranstaltung besuchen. Das ist die Grundidee. Das hat mich von der Arbeit und der Idee »Kulturloge«
überzeugt.

Wie muss ich mir Ihre Arbeit vorstellen?

SINDY ROGOLL: Wir gehen auf die Menschen zu. Zum Beispiel mit unserem Projekt »KLIQ« (KulturLoge im Quartier). Dort stellen wir uns mit einem Stand und kleinem Kulturprogramm auf Veranstaltungen von Sozialberatungseinrichtungen oder Initiativen vor.

Wir kommen mit den Besuchern ins Gespräch und erzählen, welches Angebot wir für sie bereithalten. Die Menschen können sich dann direkt vor Ort anmelden oder nehmen sich unseren Flyer mit, um sich das zu Hause noch mal durchzulesen.

Eine wertvolle Arbeit aber leisten unsere Sozialpartner*innen. Das sind Institutionen, die die Menschen betreuen, die wiederum Kulturlogengäste bei uns sein können. In den Beratungsgesprächen werden unsere Angebote vorgestellt, die Anmeldung unterstützt und die Daten zur Verfügung gestellt.

Dieses Setting ermöglicht einen sehr niederschwelligen Zugang zu uns. Nach der Anmeldung werden sie von einer Vermittler*in angerufen, es wird noch einmal erklärt, worum es bei der Kulturloge geht und wie unsere Betreuung genau abläuft. Wir vermitteln nur telefonisch.

Das ist eine Frage, die sehr häufig kommt: Können Sie mir nicht einfach Ihr Angebot per E-Mail schicken? Nein, wir vermitteln telefonisch weil wir den ermunternden und überzeugenden persönlichen Austausch mit den Menschen brauchen, um unsere Aufgabe erfüllen zu können. Und auch das Feedback.

Interessiert die Person die Veranstaltung? Will sie wieder dahingehen oder lieber etwas anderes probieren? Wie geht es der Person gerade, braucht sie vielleicht noch was anderes? Ist sie vielleicht mittlerweile krank und braucht eine Begleitung? Das bekommt man nur am Telefon raus.

So entsteht ein Vertrauensverhältnis und das macht ganz viel, und das ist ein sehr wichtiger Teil unserer Arbeit. Aufgrund dieser Erfahrungen haben wir gerade unser Projekt Kulturbegleiter*innen gestartet. Kulturbegleiter*innen begleiten Gäst*innen zu den Veranstaltungen.

KATHARINA RIECKE: Die Gäste freuen sich, wenn man auch mal jemand zum Reden da ist, man manchmal vielleicht auch die Genres noch mal abändert, weil sich die Veranstaltungswünsche verändert haben.

Das klingt nach einem großen Engagement, nach einem ganz schönen Aufwand.

KATHARINA RIECKE: Ich bin jetzt schon im fünften Jahr dabei, ich komme einmal die Woche und rufe die Gäste an, biete die verschiedenen Veranstaltungen an, erfrage, ob es bestimmte Hürden gibt.

Es kommt vor, dass es den Gästen aus zeitlichen oder gesundheitlichen Gründen nicht möglich ist, eine Veranstaltung zu besuchen, dann schaue ich, dass ich aus unserem Bücherregal/CD-Regal vielleicht eine kleine Aufmerksamkeit zu den Gästen schicken kann. So können die Gäste hör- oder lesbare Kultur erleben, auch wenn sie nicht aus dem Haus können.

Wer kann Gast der KulturLoge werden?

SINDY ROGOLL: Generell liegt unsere Einkommensgrenze bei 1200€ netto plus 300€ für jedes im Haushalt lebende Kind. Wir orientieren uns da an den Grenzen der Dresdner Tafel. Nachweisen kann man diese Voraussetzungen mit allen Bescheiden wie dem zum ALG I und II, Bescheiden zur Grundsicherung, Wohngeldbescheid, dem Dresden Pass oder Ähnlichem.

Ich finde den Ansatz sehr schön, dass die Tickets hinterlegt sind, wenn die Gäste zu den Veranstaltungen kommen, ohne dass sie einen Nachweis, Dresden Pass o. ä. vorlegen müssen.

CHRISTIAN KRENTEL-SEREMET: Das ist eine der weiteren Grundideen unserer Arbeit. Wir ersparen den Menschen diese Bloßstellung, sie ist eine weitere Hürde beim Besuch einer Kulturveranstaltung. Wir machen es genau andersherum. Viele Veranstaltungen haben einen Presse- und Ehrenkartentisch.

Dort holen die KulturLogengäste die Karten ab. Es ist nur der Name hinterlegt – okay, unter Kulturloge – aber man muss nichts vorzeigen, sich nicht öffentlich erklären oder outen, sondern bekommt einfach seine Karte.

KATHARINA RIECKE: Das wird von den Gästen auch kommuniziert, dass sie das sehr gut finden, dass niemand im Saal merkt, dass jemand die Karte geschenkt bekommen hat oder sie sich selber nicht leisten konnte.

Die Besucher*innen der KulturLoge sitzen dann auch nicht alle nebeneinander sondern ganz verteilt im Saal, sodass man wirklich neben jemandem sitzt, der voll bezahlt hat. Das ist für eine gute Erfahrung für die Menschen.

SINDY ROGOLL: Ein weiterer schöner Punkt ist, dass wir an jeden Gast und an jede Gästin zwei Karten vermitteln, das heißt, die Person kann jemanden einladen mitzukommen und das kann jeder sein, wir wollen keinen Bedürftigkeitsnachweis der weiteren eingeladenen Person sehen.

Das kann also quasi auch der Millionär aus dem Nachbarhaus sein, wenn man sich einfach revanchieren oder bedanken will für die dritte Einladung zum Essen oder was auch immer, man weiß es einfach nicht.

Das ist völlig frei und das gibt den Menschen auch ein gutes Gefühl: Ich könnte mir das sonst vielleicht nicht leisten, aber jetzt kann ich jemanden auch was damit zurückgeben, das ist auch schön. Es ist Teil gesellschaftlicher Teilhabe.

Haben Sie Herausforderungen, Kulturpartner oder Anbieter zu finden, die sich daran beteiligen?

CHRISTIAN KRENTEL-SEREMET: Es war eigentlich nie ein Problem. Wir arbeiten jetzt mit 75 Kultur-und Sportpartnern in der Stadt zusammen, da gibt es eigentlich kaum welche, die bei uns nicht mitmachen. Die Stiftung Semperoper unterstützen wir jedes Jahr bei der Umsetzung einer großen Kinderveranstaltung mit unserer Infrastruktur.

Wir vermitteln dieses Jahr 900 Karten an Kinder und Begleiter mit sozialbedürftigem Hintergrund, aus Familien oder Betreuungseinrichtungen. Die Bereitschaft der kulturellen Institutionen in Dresden, uns zu unterstützen, ist groß.

Gerade auch die öffentlich finanzierten Kulturanbieter haben ja einen öffentlich finanzierten Bildungsauftrag, und der gilt – und so empfinden die Kunstschaffenden auch – natürlich für alle Menschen. Aber es ist schwer ein bestimmtes Publikum zu erreichen.

Auch unsere Möglichkeiten sind da begrenzt, aber wir verschaffen ihnen Publikum, das sonst so nicht zu ihnen käme. Das finden die Kulturschaffenden gut, weil es ihnen hilft, ihren Bildungsauftrag zu erfüllen – ohne dass dabei ein finanzieller Schaden entsteht, denn wir vermitteln ja freie Plätze, die nicht verkauft sind.

SINDY ROGOLL: Es gibt auch Kulturpartner*innen, die uns einfach, weil sie die Idee der Kulturloge toll finden, freie Karten zur Verfügung stellen, auch wenn sie sie anderweitig hätten verkaufen können. Sie machen das aus Prinzip, um die Idee zu unterstützen, und das sind nicht nur Plätze, die leer geblieben wären, sondern sie sagen:

»Wir wollen gern diese Karten Menschen zur Verfügung stellen, die sie sich sonst nicht leisten könnten.«

Es sind dann natürlich nicht hundert, es sind dann meistens nicht so viele, aber das spielt ja gar keine Rolle, das ist dann diese intrinsische Motivation.

KATHARINA RIECKE: Jede einzelne Karte ist wertvoll, jeder einzelne Gast, der sich freut; da ist es egal, wie viele Karten das eigentlich sind. Wir freuen uns über jede gespendete Karte, die wir bekommen.

CHRISTIAN KRENTEL-SEREMET: Schwierig war es natürlich wegen der Lockdowns im Zuge der Corona-Pandemie. Sie hat unsere Arbeit extrem beeinflusst, weil es auf einmal keine oder ganz wenige Karten zu vermitteln gab. Um den Kontakt zu unseren Gäst*innen zu halten, haben wir digitale Angebote zusammengestellt und das Projekt »Kulturpost« entwickelt: Wir versenden Literatur und Hörbücher.

KATHARINA RIECKE: Wir haben sehr viel telefoniert, weil das viele Gäste sehr, sehr gebraucht haben. Wir haben viele Gäste, die alleine sind, und die waren einfach heilfroh, dass jemand anruft und sich nach ihnen erkundigt und sie auch mal über ihre Ängste reden konnten. Wir konnten die natürlich nicht beseitigen, aber es war jemand da. Das ist auch jetzt noch so, dass vielen Gästen das Gespräch wichtig ist.

Wer unterstützt die Kulturloge?

SINDY ROGOLL: Wir haben immer um die 30 Ehrenamtliche. Auch der Vorstand arbeitet ehrenamtlich. Neu dazu gekommen sind die Kulturbegleiter*innen, die eben nicht die Vermittlung machen, sondern die Begleitung, und sich der Menschen noch einmal auf einer persönlichen Ebene annehmen und dann wirklich auch ein Vertrauensverhältnis aufbauen; die Kulturbegleiter*innen arbeiten ebenfalls ehrenamtlich.

Auch bei unseren Ständen in den Quartieren, auf Festen usw. sind wir auf die Unterstützung von Ehrenamtlichen am Stand angewiesen. Gemeinsam gehen wir auf Besucher zu, um neue Gäste zu gewinnen und die Kulturloge vorzustellen. Es ist insgesamt ein großes und sehr, sehr engagiertes Team.

KATHARINA RIECKE: Ja, wir tauschen uns auch untereinander aus, gerade auch zu schwierigeren Telefonaten oder auch zu neuen Ideen und Projekten. Welche neuen Projekte stehen denn an?

CHRISTIAN KRENTEL-SEREMET: Ein wichtiges Projekt derzeit ist die Anschaff ung eines neuen EDV-Programms. Das sind die Dinge, die sich im Hintergrund, fast im Untergrund, abspielen. Alle sehen ja nur das, was nach außen hin passiert; das ist wie im Theater, die Leute sehen nur, was auf der Bühne vorgestellt wird, aber dass dahinter ein riesiger Technikraum ist, wesentlich größer als die Bühne selber, der viel mehr Personal beschäft igt, das sehen die Menschen nicht und das soll ja auch so sein. Auch in unserer Arbeit.

Aber wir müssen die fünfeinhalbtausend Gäste mit diesen unterschiedlichen Ansprachen, mit den unterschiedlichen Genrewünschen, mit dem System, dass Menschen, die eine Karte bekommen haben, wieder nach hinten sortiert werden usw., verwalten. Das muss alles EDV-gestützt sein. Wir empfinden uns wie ein soziales Start-up, das einmal mit nichts angefangen hat und jetzt eine gewisse Größe erreicht hat.

Gerrade Start-ups machen immer Entwicklungsphasen durch. Irgendwann ist dann mal ein Professionalisierungsschritt notwendig und das ist bei unserer Soft ware zurzeit so. Unsere Soft ware stößt an ihre Grenzen, und jetzt tun wir uns mit anderen Kulturlogen zusammen, schaff en etwas Neues an, und das ist ein finanzieller Kraft akt.Was wünschen Sie sich für die Zukunft ?

SINDY ROGOLL: Wir sind froh über die Förderung, die wir haben, das sind kommunale Förderungen, im Wesentlichen, auch eine mehrjährige Förderung durch die Aktion Mensch. Nicht nur Menschen mit finanziellen Herausforderungen haben Hürden zu überwinden, sondern es gibt eben auch andere Hürden beim Zugang zur Kultur, gesundheitliche, emotionale, geistige, und da versuchen wir, auch aktiv zu sein.

CHRISTIAN KRENTEL-SEREMET: Aufgrund der zeitlichen Befristung von Förderungen fühlen wir uns mit der Kulturloge und der Verantwortung, die wir gegenüber den vielen von uns betreuten Menschen übernommen haben, immer als ob, wir ein bisschen auf Treibsand unterwegs sind und man keinen wirklich stabilen Boden unter den Füßen hat.

Wir wissen nie: Kommt die Förderung wieder, kommt sie nicht? Das, was wir jetzt erreicht haben, komplett wieder auf ehrenamtliche Arbeit zurückzuführen, ist praktisch nicht möglich. Da würden wir uns mehr Stabilität und mehr Sicherheit wünschen. Deswegen ist auch ein großes Anliegen von uns, die Kulturloge noch stärker in der öff entlichen Wahrnehmung zu verankern.

Es ist erstaunlich, dass selbst befreundete Einrichtungen und Verbände eigentlich gar nicht genau wissen, wie viel Arbeit hinter dieser Idee steckt. Da würden wir uns noch mehr Wahrnehmung, Vernetzung in andere Initiativen, in Wirtschaft , Bürgertum und wie auch immer wünschen – und dafür arbeiten wir.

KATHARINA RIECKE: Wir wollen weiter für die Menschen da sein. Jede Vermittlung, jede Hilfe, unter Menschen zu kommen, eine Kulturveranstaltung zu besuchen, ist ein Gewinn für uns, die Person und die Gesellschaft.


→ Das Gespräch führte Liane Rohayem-Fischer

Christian Krentel-Seremet
ist Jurist mit Erfahrungen in Landes-, Bundes- und Europabehörden,
mit Leib und Seele Kulturmanager und Vorstandsvorsitzender der KulturLoge.

Katharina Riecke
ist ehrenamtlich als Vermittlerin für die KulturLoge Dresden tätig.
Mit ihrer Unterstützung werden jeden Tag viele kostenfreie
Plätze in Kultur- und Sportveranstaltungen an Gäste der KulturLoge vermittelt.

Sindy Rogoll
ist hauptamtlich Beschäftigte in der KulturLoge Dresden
und für das Projekt KulturLoge | Inklusiv zuständig,
in welchem kulturelle Teilhabe für Menschen mit
Behinderungen ermöglicht und vereinfacht werden soll.

Liane Rohayem-Fischer
Leiterin der Kommunaktion der Stiftung Frauenkirche Dresden