»Teilen und Haben«
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Über die Kosten von Frieden
Was war das für ein Aufschrei, als die Ampel-Koalition 2022 zusätzliche 100 Mrd. € für die Bundeswehr bereitstellte. Auch ich war frustriert – wurde doch als erste Reaktion auf einen Angriffskrieg wieder einmal in militärische Lösungen investiert, obwohl Krieg laut aller »Gerechten Krieg«-Theorien die ultima ratio, das letzte Mittel der Vernunft, sein soll.
Sicher, ein geringer Teil der Bundeswehrmittel werden auch für sogenannte internationale Friedenseinsätze verwendet (die »Blauhelme« der UN) – und trotzdem gibt es bei aller Rede über die Notwendigkeit von Frieden keinen Etat für Frieden.
WAS KOSTET DER FRIEDEN? UND KANN MAN FRIEDEN KAUFEN?
Frieden – wie auch Krieg – braucht Investitionen. Frieden – wie Krieg – braucht Vorbereitung. Frieden – wie Krieg – braucht Aus- und Weiterbildungen. Während die Ausbildung an der Waffe eine Laufbahn mit Karriereoption beim Staat ist, ist die Ausbildung zur zivilen Friedensfachkraft Privatvergnügen.
Es gibt vom BMZ finanzierte Organisationen, die solche Fachkräfte in Konfliktgebiete entsenden – jedoch ist für diese Konfliktbearbeitung und Konfliktprävention kein nennenswertes Budget im Bundeshaushalt vorgesehen. Während Sicherheits- und Verteidigungsstrategien verabschiedet werden, gibt es keine Friedensstrategie.
WAS KÖNNTE ZU EINER SOLCHEN STRATEGIE GEHÖREN?
Neben der äußeren Sicherheit, bei der sich in Nationalstaaten militärische, diplomatische und andere gewaltfreie Mittel ergänzen sollten, gibt es auch im Bereich der inneren Sicherheit viele bisher ungenutzte oder nur ansatzweise entwickelte Handlungsspielräume: neben der Polizei als ordnungserhaltende Instanz, die das staatliche Gewaltmonopol innehat, sind wir alle für Konflikte in unserem Leben und der Gesellschaft zuständig.
Die meisten lösen wir unter uns, ohne Hilfe von außen. Andere tragen wir an Gerichte heran und lassen sie von Richter*innen entscheiden. Viele fallen aber nicht unter die Gerichtsbarkeit und lassen sich trotzdem nicht innerhalb der Familie oder Freundschaft lösen – hier könnten Beratungs- und Konfliktbegleitungsstellen gestärkt und neu geschaffen werden. Dies würde auch der Gewaltprävention insgesamt dienen.
In Kindergärten und Schulen könnte Friedensbildung und Konfliktbewältigung zu einem Kernteil der Bildungspläne werden. Gesellschaftliche Konflikte müssten breiter diskutiert werden: Hier bieten sich partizipative Verfahren an, in denen Bürger und Bürgerinnen mitsprechen können, ohne dass die gewählten politischen Gremien überflüssig würden.
Solche partizipativen Verfahren sind teurer als einfache Abstimmungen wie Volksentscheide, aber nachhaltiger und könnten unsere Demokratie lebendiger machen. Derzeit werden Fördermittel für politische Bildung und für zivilgesellschaftliche Akteure wie Vereine, Stiftungen, Verbände gekürzt.
Doch gerade eine starke Zivilgesellschaft ist das Fundament für gewaltfreie Konfliktlösungen. Wir brauchen die pluralen Perspektiven darauf, was gerecht ist – denn niemand von uns kann alle Lebenswirklichkeiten im Blick haben.
UND WAS PASSIERT MIT DEN GLOBALEN KONFLIKTEN?
Die meisten internationalen Organisationen in der Entwicklungszusammenarbeit verfolgen mittlerweile einen menschenrechtsbasierten Ansatz – aufbauend auf Studien der Konfliktforschung, die eine Korrelation beobachten konnten zwischen gewaltsam ausgetragenen Konflikten und mangelnden Ressourcen wie Nahrung, Land, Zugang zu Arbeit, Bildung, medizinischer Versorgung.
Wenn wir »Kriegs- und Fluchtursachen bekämpfen« wollen, müssen wir uns den Folgen unseres Handelns als Wirtschafts- und Handelsmacht stellen und uns für globale Gerechtigkeit einsetzen. Dies kann z.B. über Lieferkettengesetze reguliert werden, sodass auch Privatunternehmen in die Verantwortung gezogen werden.
Auch durch Handelsverträge haben Regierungen einen Einfluss auf das internationale Konfliktgeschehen – gerade als ehemalige Kolonialmächte haben europäische Staaten eine besondere Verantwortung postkoloniale Staaten zu fördern und sie z.B. nicht noch mehr in Schulden zu treiben.
Diese und viele andere Ansätze kosten nicht nur Energie, sondern auch Geld, aber könnten ein entscheidender Beitrag zu gerechtem Friedensbeziehungen weltweit sein.
UND JETZT?
Natürlich können wir uns Frieden nicht erkaufen – das reduziert unsere komplexe Realität viel zu sehr. Und leider ist dies auch keine erschöpfende Einkaufsliste für den Weltfrieden. Vielmehr will dieser Artikel im Kontext dieser Ausgabe »Haben und Teilen« Gedankenanstöße liefern, warum es sich lohnt, Frieden nicht als gratis Beilage zur Demokratie zu denken, sondern als bewusste Investition in die Zukunft.
Denn Frieden ist kein Zufall, sondern eine Aufgabe, die wir uns alle teilen und von der wir alle etwas haben.
JULIANE PRÜFERT
Friedens- und Versöhnungsarbeit