»Teilen und Haben«
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Vom Teilen und Verbunden sein
HABEN UND TEILEN
Manches haben wir und es fällt uns schwer, es zu teilen. Aus Angst, dass dann weniger für uns bleibt. Und manches haben wir erst dadurch, dass Andere es mit uns teilen. Einige Erkenntnisse aus meinem Alltag als Unternehmensberater und -begleiter in Veränderungsprozessen möchte ich hier gern mit Ihnen teilen.
DAS SILO GEHT EINSAM UNTER
Wissen zum Beispiel. Ich erlebe Unternehmen, in denen Mitarbeiter und Führungskräfte ihr Wissen großzügig miteinander teilen, und es vermehrt sich. Durch das Zusammenfließen von Ideen und Erfahrungen entsteht etwas Neues; etwas Größeres, als die Summe des einzelnen Wissens.
Der Unternehmenskontext ist vermehrt geprägt von Unsicherheit und Wandel. Herausforderungen in Kooperation zu bewältigen, indem ich mein Wissen freigebe, zeichnet Unternehmen aus, die den Wandel gut gestalten.
Ehrlicherweise spüre ich oft auch die Angst davor, Macht und Autorität und Unternehmensprivilegien zu verlieren, wenn ich mein Wissen preisgebe. Dieses Verhalten dient zwar kurzfristig der Absicherung meines Selbstwertes – verhindert allerdings auch die Weiterentwicklung des Teams und des Unternehmens.
Silowissen als Zeichen unreifer organisationen erlebe ich zur Stabilisierung von Hierarchien oder auch aufgrund von Kränkungen. Aus Kränkung und deren Auswirkungen sind jedoch schon ganze Unternehmen untergegangen.
WAS ICH NICHT TEILE, HABE ICH FÜR MICH ALLEIN
Manches wird weniger, wenn wir es teilen, nicht nur in Unternehmen. Und das ist gut so. Scham zum Beispiel. Die Angst davor, dass mein Kollege bemerkt, dass ich einen Fehler gemacht habe und ich dann dafür abgewertet werde.
Die Angst davor, dass mein Chef bemerkt, dass ich etwas nicht weiß. Die Angst davor, dass auffliegt, dass ich nicht genüge.
Diese Angst zeigt sich in Scham. Scham lebt in der Dunkelheit. Sie lebt davon, dass ich mich nicht mitteile. Dann denke ich weiter, ich bin der Einzige, dem es so geht. Dass alle Kollegen souverän Entscheidungen treffen, während ich hadere und zweifle. Die Schamforscherin Brené Brown beschreibt den Unterschied zwischen Scham und Schuld sehr praxistauglich.
Schuld ist das Gefühl, etwas Falsches getan zu haben. Scham ist das Gefühl, falsch zu SEIN.
Erlebe ich es als meine Schuld, dass ein Projekt gescheitert ist oder wir einen Kunden verloren haben, dann bin ich immer noch handlungsfähig. Ich kann Ursachen reflektieren und einen Prozess optimieren. Dann lerne ich. Ist mir jedoch ein Fehler passiert und ich reagiere mit Scham, dann empfinde ich Ohnmacht.
Die Furcht vor Ausgrenzung lässt mein Angstgehirn aktiv werden. Die Ausschüttung von Adrenalin und Cortisol bereitet meinen Körper auf Fight, Flight, Freeze vor, blockiert jedoch auch meine Reflexionsfähigkeit. Ich bin nicht mehr klug. Der Panikmodus ist in einer wirklich lebensbedrohlichen Situation sehr funktional.
Steht jedoch der Chef vor mir und äußert Kritik und ich gehe in den Panikmodus, so ist das hinderlich.
Unsere defensiven Abwehrmechanismen im Unternehmensalltag im Kampfmodus bestehen z. B. im Suchen eines Schuldigen, in der (Auto-)Aggression oder in Racheaktionen, wie dem beschriebenen Vorenthalten von Informationen.
Den Fluchtmodus erleben wir im Unternehmen u. a. im Themenwechsel in Besprechungen oder im Verschweigen von unangenehmen Wahrheiten.
MITMENSCHLICHKEIT GEGEN SCHLAFLOSIGKEIT
Das langfristige Fehlen von psychologischer Sicherheit im Team führt zu Dauerstresssymptomen wie Schlafstörungen und schränkt nicht nur unsere Beziehungsfähigkeit ein, sondern auch unsere Fähigkeit, kreativ zu denken oder uns zu motivieren.
Auch Teams können Angststörungen entwickeln, nur noch auf das Negative und die Überforderung fokussiert sein und zu erhöhter Selbstbeobachtung neigen. So ist das Team beschäftigt, aber nicht produktiv. Was hilft, ist das Teilen von Menschlichkeit und Vertrauen.
Das Verfolgen gemeinsamer Ziele, Sinnerleben in meinem Tun, das Feiern von Erfolgen, situative Demut – alles Zeichen wirklicher Zugehörigkeit und Bindung. Sinn erleben wir laut Frankl dort, wo das, was wir gern tun – eine Not der Welt trifft. Diese Beschreibung dient mir in allen Beratungen als Orientierung.
VOM VERLUST DER BINDUNG
Während der Corona-Pandemie, als wir uns kaum noch in Präsenz begegneten, konnte ich erleben, wie angespannt Kollegen miteinander umgingen. Da genügte es schon, wenn der Vorgesetzte in einer kurzen Nachricht um die Erledigung einer Aufgabe bat, und der Mitarbeiter war sauer über die Unhöflichkeit und geringe Wertschätzung.
Die gleiche Arbeitsaufforderung von Angesicht zu Angesicht wäre völlig in Ordnung gewesen. Der Mangel an Begegnung lässt uns hochsensibel auf vermutete Zurückweisung reagieren.
SCHAMFREIES MITEINANDER
Fühle ich mich jedoch als Mitarbeiter sicher, gesehen und wertgeschätzt, dann schütte ich das Bindungshormon Oxytocin aus. Dieses wirkt wie ein Puffer auf die Stresshormone und dämpft diese. Ich kann reflektieren und lernen, das Unternehmen wird klüger.
Es begeistert mich, wenn es gelingt, Menschen in echte Verbindung und vertrauensvollen Austausch zu bringen. Wenn z. B. in Netzwerktreffen Geschäftsführer verschiedener Unternehmen zuzusammensitzen und sich frei von Scham davon berichten, welche Projekte nicht gut laufen, was sie jetzt anders machen würden oder welche Fehler ihnen fast passiert wären.
Mit dem Ziel, dass alle lernen und sogar besser werden als sie selbst. Kein Neid, nur Wachstumsfreude. Das tiefe, zuversichtliche Wissen, dass ich genüge, setzt ungeahnte Energie für die eigene Entwicklung, für die Entwicklung des Unternehmens und die tatsächliche Arbeit frei.
RUTH SUSANNE SCHUBERT
arbeitet als selbständige Beraterin und Dozentin
für zahlreiche Hochschulen, Akademien, Vereine und Unternehmen.
Sie ist Diplom Verkehrswirtschafterin und Kommunikationspsychologin (M. A.).