Lebenslinien

Acht Teppiche voller Geschichten

Anlässlich der Weihe der Dresdner Frauenkirche im Jahr 2005 entstand ein außergewöhnliches Kunst- und Gemeinschaftsprojekt: Lebenslinien.

Fast 400 Frauen aus ganz Deutschland schickten persönliche Stoffstreifen und mit ihnen Erinnerungen, Hoffnungen und Lebensgeschichten. Daraus webten Handwerkerinnen Teppiche, die heute in der Frauenkirche angebracht sind – ein bleibendes Symbol für Zusammenhalt und die Hoffnung auf Neubeginn.

Wie alles begann

Die Idee zu den Lebenslinien entstand 2005, kurz vor der Weihe der wiederaufgebauten Frauenkirche. Die Textilgestalterin Heike Wiebelitz aus Großharthau stellte sich die Frage: Wie kann man dem neuen Bauwerk auch eine weibliche Seele geben?

Ihre Vision: Aus Stoffstreifen, die Frauen aus ganz Deutschland beisteuern, sollte ein gemeinsames Werk entstehen – ein Teppich, der Geschichten, Erinnerungen und Hoffnungen miteinander verwebt.

Um dieses Vorhaben Wirklichkeit werden zu lassen, wandte sie sich an den Verein Frauen im Handwerk Dresden e.V. Dort stieß die Idee sofort auf große Begeisterung. Auch die Stiftung Frauenkirche Dresden war interessiert und aufgeschlossen. So begann ein außergewöhnliches Gemeinschaftswerk, das bis heute im Inneren der Kirche sichtbar ist: die Lebenslinien-Teppiche – Symbole für Zusammenhalt, Erinnerung und Hoffnung.

Von Stoffstreifen zu Teppichen

Aus hunderten Stoffstreifen und persönlichen Geschichten entstand Schritt für Schritt ein einzigartiges Kunstwerk. Die folgenden Etappen zeigen den Weg von der ersten Idee bis zur Anbringung der Teppiche in der Frauenkirche.

Januar 2005

Die ersten Stoffstreifen treffen ein,
oft begleitet von bewegenden Briefen und Erinnerungen

Frühjahr 2005

Entwicklung des Farbkonzepts,
Sortieren der Stoffe und Zuschneiden unzähliger Streifen

März 2005

Start der Webarbeiten am Handwebstuhl
im Technischen Museum Großröhrsdorf,
getragen von ehrenamtlichen Weberinnen

Juli 2005

Erste Präsentation der fertigen Teppiche
im Museum: große Resonanz
am Tag der offenen Tür

September 2005

Übergabe der Teppiche an die Stiftung,
Freude über Vielfalt und Farbwirkung

Oktober 2005

Rechtzeitig zur Weihe der Frauenkirche
Anbringung der acht »Lebenslinien«-Teppiche in der Teestube F

Stoffe voller Erinnerungen

Frauen jeden Alters, aus allen Teilen des Landes und mit den unterschiedlichsten Lebenswegen spendeten Stoffstreifen. Ob Kleidung oder Tischwäsche, Vorhang oder Handarbeit: Jedes der 70 x 5 cm großen Fleckchen ist mit sehr persönlichen Erinnerungen verbunden. Sie erzählen Geschichten: von Krieg und Verlust, von Familie und Neubeginn, von Trauer, Hoffnung und Zusammenhalt. Zum Glück sind manche verschriftlicht; hier einige Beispiele:

Ein über hundert Jahre alter Leinenstreifen, einst von Vorfahren handgewebt, wurde eingeschickt, gerade als die Spenderin eine schwere Krebserkrankung durchlebte. Der Stoff steht für Tradition, Glaube und den Mut, das Leben neu zu gestalten.

Eine Witwe schnitt ein Kleid auf, das sie einst zu einem besonderen Familienfest getragen hatte. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes war es jahrelang ein stilles Erinnerungsstück – nun wurde es Teil der Teppiche und damit zum Symbol für Trauer und Hoffnung.

Eine Enkelin sandte ein Stück jener Decke ein, mit der ihre Großmutter im Luftschutzkeller Schutz suchte – und mit der sie später den Brand einer Bombe erstickte. Der Stoff erinnert an Mut und Überleben inmitten der Bombennacht.

Ein Leinenstreifen stammt von einem Rolltuch aus dem Waschhaus der Großmutter. Er ruft den Duft von frischer Wäsche, Lavendel und das Knarren der alten Mangel wach – Erinnerungen an eine Kindheit voller vertrauter Rituale.

Eine ganze Klasse von Raumausstatter-Auszubildenden stiftete Stoffstreifen. Sie wollten damit ihre gemeinsame Ausbildungszeit festhalten – und die Erfahrung, wie wichtig Zusammenhalt und gegenseitige Unterstützung sind.

Acht Teppiche voller Leben

Die gewebten Lebenslinien verbinden lauter einzelne Stoffstreifen zu einem farbenreichen Ganzen – ein lebendiges Mosaik aus hellen und dunklen Tönen, aus kräftigen und zarten Farben, das die Vielfalt der Geschichten und Schicksale sichtbar macht.

Aus vielen Lebenswegen ein Ganzes

Jeder Stoffstreifen steht für eine individuelle Lebensgeschichte – einzigartig und unverwechselbar. Gemeinsam ergeben sie ein Bild von Vielfalt und Zusammenhalt. In der Frauenkirche erinnern die Teppiche bis heute daran, dass dieses Bauwerk nicht nur aus Stein errichtet wurde, sondern auch aus der Kraft der Menschen, die sich miteinander einer besonderen Herausforderung gestellt haben.  

Dafür sind wir dankbar.