Statement der Stiftung Frauenkirche Dresden zur aktuellen Situation im Nahen Osten
In der wiederaufgebauten Frauenkirche, die sich selbst als ein Wahrzeichen versteht, das zu Toleranz und Frieden unter den Völkern und Religionen mahnt, begehen wir Ende Oktober das 18. Weihefest. Wir reflektieren zu diesem Anlass besonders, dass unsere Wiederaufbaugeschichte alles andere als selbstverständlich ist und dass nur wenige hundert Meter von der Frauenkirche entfernt eine Synagoge neu entstanden ist, deren Geschichte von Zerstörung und Neubau eine ganz andere ist. Ohne diesen Neubau hätte die wiedererrichtete Frauenkirche kein glaubwürdiger Friedens- und Versöhnungsort werden können.
In diesen Tagen wird Israel, der einzige Ort weltweit, an dem jüdische Menschen ein eigenes Land politisch und kulturell souverän gestalten können, mit barbarischem Terror von der Hamas angegriffen – und dies ausdrücklich im Namen Gottes. Menschen in Israel wie auch in den palästinensischen Gebieten erleben als Folge dieses Angriffs der Hamas unfassbares Leid. Als Stiftung Frauenkirche Dresden verurteilen wir den Terror der Hamas aufs Schärfste. Wir sehen die Existenz des Staates Israel, als ein demokratisches Land, in dem Jüdinnen und Juden neben anderen eine Heimstatt finden können, als unverhandelbar an.
Wir erkennen das Recht des angegriffenen Israels an, sich auf Grundlage und im Rahmen der Bestimmungen des Völkerrechts militärisch zu verteidigen. Dabei ist uns bewusst, dass mit der legitimen Selbstverteidigung Israels ein Weg zu mehr Frieden in der Region noch nicht eröffnet ist. Dazu bedarf es längerfristig vieler kleiner Schritte, die nur politisch und diplomatisch getan werden können.
Wir verurteilen die Instrumentalisierung von Religion für eigene Macht, für Hass und Gewalt. Wer dies tut, missbraucht Gott selbst. Deshalb lehnen wir jede Form von Extremismus und religiösem Fundamentalismus ab. Zugleich darf die Verurteilung islamistischer Gewalt nicht zu einem Generalverdacht gegen Muslime und ihre Religion führen.
In Folge des Hamas-Terrors werden in deutschen Städten Synagogen angegriffen, jüdische Menschen an Leib und Leben bedroht und antisemitische Parolen ausgerufen. Wieder werden in Deutschland an Häuser, in denen jüdische Menschen wohnen, Davidsterne gesprüht. Wir gehen auf den 9. November zu. Als vor 85 Jahren die Synagogen brannten und Menschen auf Grund ihrer ethnischen, kulturellen und/ oder religiösen Zugehörigkeit verfolgt und ermordet wurden, haben wir mitgewirkt, zugeschaut, weggeschaut, geschwiegen. Wir tragen Verantwortung für diesen dunklen Teil deutscher Geschichte.
Als Christinnen und Christen haben wir Jüdinnen und Juden, unsere älteren Schwestern und Brüder, verfolgt und im Stich gelassen. Als Kirche Jesu Christi sind wir biblisch gesehen die Gemeinde aus Juden und Heiden. Wir haben unseren eigenen Ursprung und unser Fundament, den Juden Jesus Christus selbst, verhöhnt und ausgegrenzt. Als Teil der christlichen Kirchen erkennen wir diese Schuld an. Wir tragen Verantwortung dafür, dass wir nicht erneut schuldig werden und stellen uns gegen jede Art von Antisemitismus. Dem immer offeneren Antisemitismus nicht nur an den »Rändern«, sondern bis in die Mitte unserer Gesellschaft hinein, müssen wir wacher als bisher begegnen und ihn klar benennen.
Wir erkennen, dass die Zivilbevölkerung auf beiden Seiten des Konflikts leidet und fühlen mit den unschuldigen Opfern beider Seiten. Dabei ist jedes Leiden individuell und unmessbar. Es kann und darf nicht gegeneinander aufgerechnet werden, sondern steht für sich. Wir beten für die Opfer.
Wir haben angesichts der äußerst komplexen historischen, kulturellen und politischen Situation in Israel und den palästinensischen Gebieten viele Fragen und keine fertigen Antworten. Aber fest steht für uns, auch als Konsequenz aus unserer Schuldgeschichte: Der Staat Israel hat ein unveräußerliches Recht auf seine Existenz. Wir legen unsere Ängste und Hoffnungen, Fragen und Bitten in das Kaddisch-Gebet hinein, das Jüdinnen und Juden auf aller Welt sprechen und dessen Kernaussagen sich auch in unserem christlichen Vaterunser wiederfinden
»Fülle des Friedens und Leben möge vom Himmel herab uns und ganz Israel zuteil werden, sprechet Amen. Der Frieden stiftet in seinen Himmelshöhen, stifte Frieden unter uns und ganz Israel, sprechet Amen.«
Maria Noth und Pfarrer Markus Engelhardt
Geschäftsführung der Stiftung Frauenkirche Dresden
23. Oktober 2023
