»Mut und Demut«
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Er ist da! Ein evangelischer Blick auf Fronleichnam
Fronleichnam: als kleines Kind hatte dieses Wort für mich einen geheimnisumwobenen Klang. Ich hörte es nämlich so: »Frohen Leichnam«. Ein froher Leichnam: das war faszinierend mysteriös! Später, als ich lesen konnte, wurde mir klar, dass dieses fremde Wort etwas sehr anderes meint. Der Tag, der diesen Namen trägt, gilt bekanntlich als »höchster katholischer Feiertag«. Wie das bei uns »Evangelen« nach landläufiger Meinung der Karfreitag ist.
Fronleichnam wird am zweiten Donnerstag nach Pfingsten gefeiert, das ist dann immer im Juni. Also in der explodierenden Natur und unter offenem warmen Sommerhimmel – scheinbar so gar nicht passend zu seinem schon durch den Namen suggerierten tief ernsten Inhalt. Das Wort »Fronleichnam« leitet sich ab aus dem Althochdeutschen: »vron« steht für »Herr« und »licham« für »Leib«. Es geht also weder um Frohsein noch um Frondienste, und ebenso wenig um einen Leichnam. Vielmehr geht es, so die offizielle Terminologie der katholischen Liturgie, um das »Hochfest des Leibes und Blutes Christi«.
Also um das Geheimnis seines Sterbens für uns und dessen, wie die katholischen Christen es sehen und sagen, »unblutiger Wiederholung« im Messopfer, dass der geweihte Priester am Altar darbringt. Wodurch auf geheimnisvolle Weise Brot und Wein real zu Leib und Blut Christi verwandelt, also in ihrer »Substanz« neu werden, während die »Akzidentien«, also Brot und Wein nach ihrer sichtbaren und natürlichen Seite hin, unverändert bleiben.
Dies ist der Kern der sogenannte Transsubstantiationslehre, die auf den wirkmächtigsten katholischen Kirchenlehrer, den italienischen Dominikaner Thomas von Aquin im 13. Jahrhundert zurückgeht. Dieses Geschehen soll am Fronleichnamstag durch die Verehrung der Monstranz mit dem »Allerheiligsten«, der zum Leib Christi gewandelten Hostie, gefeiert werden.
Martin Luther meinte dieses Fest als »das schändlichste aller Feste« und die Fronleichnamsprozessionen als »Gotteslästerung« brandmarken zu müssen. Die katholische Kirche ließ sich nicht umpen und konterte auf dem Konzil von Trient (1545 – 1563), dass die sogenannte Gegenreformation einleitete. Der eigentliche Sinn des Fronleichnamsfestes, so behauptete das Konzil forsch, sei der »sichtbare Triumph über die protestantische Lüge und Häresie«.
So gerieten die beiden »höchsten Feiertage« für eine sehr lange Zeit zu konfessionellen Großkampftagen. Mit grotesken, legendär gewordenen Begleiterscheinungen: Am Karfreitag hingen die Katholiken die frische Wäsche für alle sichtbar draußen auf und klopften besonders eifrig ihre Teppiche. An Fronleichnam düngten die Evangelischen pünktlich zur Prozession ihre Felder.
Der ernsthafte Kern solcher albernen Scharmützel war (und ist in gewisser Hinsicht bis heute) das unterschiedliche Verständnis von Eucharistie bzw. Abendmahl. Anders als für Katholiken bleiben für Lutheraner Brot und Wein auch in ihrer »Substanz«, was sie sind: Brot und Wein. Freilich ist während des Abendmahls Christus »in, mit und unter« Brot und Wein real gegenwärtig. Die Theologie spricht bei dieser lutherischen Mittel-Position von Realpräsenz.
Reformierte Protestanten hingegen sehen in Brot und Wein nur Symbole. Der Schweizer Reformator Ulrich Zwingli erklärte: Christus bleibt im Himmel, das Abendmahl erinnert uns an seinen Tod und Auferstehung. Damit ist es in der Reformierten Kirche streng genommen kein Sakrament, also kein Geschehen, das Heil »wirkt«, sondern einfach ein besonders feierlicher Akt, um die Heilstat Christi in lebendiger Erinnerung zu behalten.
Freilich ist dies alles, insbesondere die sehr komplexe Transsubstantiationslehre der katholischen Kirche, hochphilosophische Dogmatik, die heute unter normalen Christenmenschen, auch den katholischen, kaum mehr verstanden wird. So hat sich vor allem seit dem 2. Vatikanischen Konzil (1962 – 1965) eine deutliche Akzentverschiebung im Verständnis und im Begehen des Fronleichnamsfestes ergeben.
Nicht mehr die »Substanzen« von Brot und Wein, und wie sie qua »Wandlung« durch den geweihten Priester zu Leib und Blut Christi werden, stehen im Mittelpunkt, sondern der Leib Christi nach seiner »mystischen« Seite hin: als Kirche nämlich, als Gemeinschaft derer, die glauben, dass Jesus Christus für sie, zu ihrem Besten am Kreuz gestorben ist. Es geht um die Kirche als »Gemeinschaft der Heiligen«, wie sie alle Christen im Credo bekennen.
Das lässt die hoch abstrakte Theologie, die Fronleichnam zugrunde liegt, konkret und geerdet werden. Auf das Gemeinschaftsgefühl kommt es an. Das gilt nicht nur im Fußballstadion, sondern auch für Christinnen. Es war von Anfang des Christentums an so: Ohne Gemeinschaft geht es im Leben eines Christen nicht. »Ein Christ ist kein Christ«, sagte Tertullian, der erste frühchristliche Schriftsteller im 2. Jahrhundert.
Dietrich Bonhoeffer hat im 20. Jahrhundert dasselbe so gesagt: »Allein, für sich selbst, ist es unmöglich, Christ zu sein.« Wer meint, das sei möglich, dem entgeht die Erfahrung, dass es in dieser Gemeinschaft gegenseitige Hilfe und Solidarität gibt, dass keiner allein das Evangelium verkünden muss, sondern, wie Martin Luther sagte, »dass einer dem anderenzum Christus wird«. Es ist Kennzeichen der »Gemeinschaft der Heiligen«, dass in ihr alle füreinander da sind und eintreten. »Seht, wie sie einander lieben«, hat besagter Tertullian staunend über die frühen Christen festgestellt und war davon so beeindruckt, dass er selbst Christ wurde.
Wie diese Gemeinschaft entsteht, beschreibt Paulus im 1. Korintherbrief: »DER KELCH DES SEGENS, DEN WIR SEGNEN, IST DER NICHT DIE GEMEINSCHAFT DES BLUTES CHRISTI? DAS BROT, DAS WIR BRECHEN, IST DAS NICHT DIE GEMEINSCHAFT DES LEIBES CHRISTI? DENN EIN BROT IST’S. SO SIND WIR, DIE VIELEN, EIN LEIB, WEIL WIR ALLE AN EINEM BROT TEILHABEN.«
Blut ist dicker als Wasser! Diese Wendung will sagen, dass die Nähe und der Zusammenhalt einer Familie am Ende des Tages doch das Stärkste ist. Die »Blutsbande« eben. Mit seinen sehr feierlich und liturgisch klingenden Worten erinnert Paulus daran, dass Jesus beim »Letzten Abendmahl« einen jüdischen Ritus aus dem Familienleben übernommen hat. Beim Festmahl am Pessach-Fest spricht der Familienvater einen Lobpreis über einen mit Wein gefüllten Kelch, bevor alle daraus trinken.
Jesus hat sich an diese Ordnung seines Volkes gehalten. Und hat doch schon die Tradition gesprengt, denn im Abendmahlssaal war ja nicht die Familie da, sondern lauter Menschen, die ihre Familien für das Leben mit Jesu zurück gelassen hatten.
»Der Kelch des Segens, den wir segnen, ist der nicht die Gemeinschaft des Blutes Christi?«: Was bei dieser Gemeinschaft an natürlichen Blutsbanden fehlt, soll dieser Becher bewirken. Und weil Blut dicker ist als Wasser, und auch Wein, weist Jesus damit schon geheimnisvoll auf das hin, was dieser Nacht unmittelbar folgen wird: dass sein Blut fließen wird. Alle, die sich davon berühren lassen, gehören zu dieser geistlichen Familie. Und wann immer wir sein Mahl feiern, sind wir mitten drin, ein Teil dieser Gemeinschaft.
Das ist der Grund christlicher Gemeinschaft. Denn wir kommen nicht aus eigenem Antrieb als Gemeinschaft zusammen, sondern weil Er uns ruft. In ihm sind wir vereint, in ihm sind wir ein Leib. Und im Brot, das in Erinnerung an seinen Opfertod für uns gebrochen wird, im Kelch, dessen Inhalt auf das Blut verweist, das am Kreuz für uns geflossen ist, ist er da, ist er bei uns, unter uns. Das ist etwas ganz Ungeheuerliches, das letztlich gar nicht zu be-greif-en ist.
Es kann nur von dem großen Geheimnis her erahnt und bestaunt werden, dass der unendliche Gott ein endlicher Mensch, also irdische Materie, Schöpfung wurde. Wie wir dieses Da-Sein mit unseren begrenzten menschlichen Möglichkeiten »verstehen«, ob als »Transsubstantiation«, als »Transsignifikation«, als »Realpräsenz« oder noch einmal anders: das verweist am Ende nur auf die Bruchstückhaftigkeit unseres Verstehens.
»Unser Wissen ist Stückwerk« (1. Kor 12,9): Dass Christus in und mit den Elementen von Brot und Wein wirklich da ist, bleibt ein Geheimnis, das wir am Ende des Tages nicht entschlüsseln, sondern nur dankbar bestaunen können. »Groß ist das Geheimnis des Glaubens«, freut sich deshalb die eucharistische Gemeinde.
Wenn ich es so sehe, kann ich (wie ich es im katholischen Freiburg, wo ich früher lebte, gelegentlich getan habe) auch als Protestant guten Gewissens mit katholischen Christen bei einer Fronleichnamsprozession unterwegs sein.
Pfarrer MARKUS ENGELHARDT
Frauenkirchenpfarrer