Wachsamkeit und Engagement

Unsere Demokratie
braucht uns alle

Frauenkirchenpfarrer Markus Engelhardt sprach am 20. Oktober 2024 auf dem Dresdner Neumarkt auf der Kundgebung von »Herz statt Hetze«.

»Als ich vor dreieinhalb Jahren aus dem fernen Freiburg nach Dresden wechselte, haben mich dort viele etwas verständnislos gefragt: „Du gehst nach Dresden? Zu Pegida??“ Je weiter man von Dresden weg ist, desto mehr bringt man diese Stadt offenbar mit Pegida in Verbindung. Traurige Realität. Ich danke Ihnen und euch allen hier vor der Frauenkirche, dass ihr mit eurem Kommen dafür einsteht, dass Dresden viel mehr, und anderes ist als diese Pegida.

Nebenan will Pegida jetzt feiern. 10 Jahre. Traurig, aber nicht zu vermeiden. Meinungsfreiheit ist ein hohes, schützenswertes Gut. Und es ist das Wesen der Demokratie, dass sie die einzige Staatsform ist, die man ungehindert ablehnen und sogar auf verfassungsmäßig korrekte Weise abschaffen kann. In Deutschland ist genau dies vor 91 Jahren geschehen. Dass es ein zweites Mal geschehen könnte, haben wir lange für undenkbar gehalten. Inzwischen nicht mehr. Politiker*innen reden mittlerweile von „Weimarer Verhältnissen“, um unsere gesellschaftliche Situation zu beschreiben.

So gesehen ist es zu kurz gegriffen, sich zu freuen, dass Herr Bachmann jetzt das Ende von Pegida verkündet hat. Dazu hat diese „Bewegung“ zu viel angerichtet in vielen Köpfen und Herzen - leider auch bei Menschen, die selbst gar nicht „mitspaziert“ sind montagabends. Wenn ich die Tage manchmal ein erleichtertes „Zum Glück geht der Spuk zu Ende“ höre, scheint mir das doppelt falsch. Erstens war Pegida kein Spuk, leider - sondern traurige Realität. Und zweitens geht, wofür Pegida stand und wofür bzw. wogegen sie agitiert haben, eben nicht zu Ende – dazu ist es zu tief in unsere Gesellschaft eingedrungen. Nicht nur die jüngsten Wahlergebnisse belegen das. Herr Bachmann hat ja in seinem „Abschiedsvideo“ sichtlich zufrieden festgehalten, dass mit der AfD als stärkste politische Kraft hierzulande ein zentrales Ziel seiner Bewegung inzwischen erreicht ist. Es gibt also keinen Grund zur Freude heute. 10 Jahre Pegida, das ist: 10 Jahre Trauerspiel mit Ressentiment gegen Andersartige und Verächtlichmachung unserer Demokratie als „System“.

Wir sind vor der Frauenkirche, als deren Vertreter ich hier stehe. Die Geschichte dieses Bauwerks ist eine Geschichte von Bürgersinn, protestantischem Selbstbewusstsein, aber auch von Verblendung und Abkehr von den wirklichen Basics des Christlichen. Auch deswegen haben sich am Ende Krieg und Zerstörung tief in die Geschichte der Frauenkirche eingetragen. Aber dann wurde die Geschichte dieser Kirche auch ein für viele Menschen berührendes Beispiel für die Kraft, die im Christentum ebenso liegt wie in einer lebendigen Zivilgesellschaft: eine Kraft, die Frieden und Aufeinanderzugehen, ja sogar Versöhnung schafft zwischen solchen, die tödliche Feinde gewesen waren.

Die Partei, die der politische Arm von Pegida ist, hat sich auf ihrer letzten Weihnachtsgrußkarte mit Bildern dieser Kirche geschmückt. Das sollte wohl sächsischen Stolz auf die Wiedererstehung „alter Dresdner Herrlichkeit“ rüberbringen, und dass die AfD sich wie Pegida als Hort des von muslimischer Überfremdung bedrohten „Christlichen Abendlands“ sieht. Wir können dazu nur in aller Klarheit sagen: Das ist ein unappetitliches Statement gegen alles, wofür dieses Gotteshaus, wofür das Christentum steht. Wenn es ein christliches Abendland gibt, dann hat das seine DNA in einer Kultur der Barmherzigkeit. Der Weg Jesu in dieser Welt hat einen unübersehbaren Zug hin zu den Schwachen, Übersehenen, Stigmatisierten. Und gerade nicht die Überhöhung der Starken, und einem Kult der ethnischen Uniformität, wie die Pegidisten das lautstark propagieren.

Was Pegida über 10 Jahre hier gefordert hat, ist nichts weniger als ein Abgesang auf Europa als Christliches Abendland. Dass seit 2014 jedes Jahr Tausende Bootsflüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, wird dort gleichgültig, von nicht wenigen sogar als good news genommen. „Patriotische Europäer“ hat sich Pegida auf seine Visitenkarte geschrieben. Ihre Parolen und Ziele haben bald offenbart, dass sie keine Patrioten und schon gar nicht Europäer sind. Denn Europa war von Anfang an eine Gemeinschaft gegenseitigen Andersseins, nicht der Uniformität, sondern der Vielfalt. Die Grundüberzeugung der damaligen Baumeister eines neuen Europas, dass alle Menschen die gleiche Würde haben, unabhängig von ihrer Ethnie, Kultur, Religion und sexuellen Orientierung: das war doch eine bitter erlernte Konsequenz aus der europäischen Katastrophe des letzten Jahrhunderts. Wir in Deutschland, das zwei Weltkriege vom Zaun gebrochen hat, sollten doch wissen, wo und wie es endet, wenn ganze Bevölkerungsteile stigmatisiert werden (und „remigriert“ werden sollen), einfach weil man sie als fremd oder politisch nicht opportun ansieht.

Nach den Wahlen hier und in der verfahrenen, völlig ungewissen politischen Lage jetzt müssen wir wachsam sein, wenn es um die Freiheit der Kunst und Kultur, von Bildung und der Forschung geht. In den Hinterzimmern der intellektuellen Rechten werden längst Strategien zur Umerziehung entwickelt. In etlichen Orten und Landkreisen kann man schon sehen, wie versucht wird, Mittel für politische Bildung und zivilgesellschaftliche Initiativen zu streichen, ein Kulturzentrum zu schließen, ein Festival abzusägen. Das ist kein Zufall: Neben der Justiz sind es immer die Kultur und die Medien, an die die Feinde der Freiheit zuerst rangehen, weil sie die Macht der kritischen Wahrheit fürchten. Man blicke nur nach Ungarn, oder ins Polen der vergangenen Jahre.

Am wichtigsten erscheint mir, dass wir selbst nicht verhärten und ausgrenzend werden. Eine offene Gesellschaft funktioniert nur, wenn alle aus ihren Meinungsblasen rauskommen. Es reicht nicht, nur auf eine (oder jetzt zwei) bestimmte Partei(en) zu zeigen und pauschal vor „dem Faschismus“ zu warnen. Das Einzige, was wirklich zählt, ist das Bekenntnis zu unserem demokratischen Grundgesetz. Sie hat uns die die beste Gesellschaftsordnung ermöglicht, die wir in Deutschland je hatten. Aber wie schon gesagt, sie ist auch die Einzige, die sich selbst abschaffen kann, wenn man im Andersdenkenden, im Andersartigen den Feind sieht, statt den Konkurrenten um die besten Ideen für die Zukunft.

Vergessen wir nie: Eine offene Gesellschaft, ein Rechtsstaat sind nicht selbstverständlich! Sie sind in ihrer Existenz auf die Loyalität und das Engagement aller Bürger*innen angewiesen. Eine Demokratie ist nur so vital, wie viele sich aktiv in ihre Gestaltung einbringen. „Die da oben“, auf die zu schimpfen bei Pegida zum schlechten Ton gehört, gibt es in einer Demokratie, die sich selbst ernst nimmt, gar nicht. „Die da oben“ sind nämlich wir! Wir haben sie gewählt, wir können sie wieder abwählen, wir können uns selbst zur Wahl stellen. Auch dafür steht die Frauenkirche als eine Bürgerkirche. Es reicht nicht, sie nur als schönes Wahrzeichen einer schönen Stadtsilhouette zu sehen. Sie ist viel mehr als das!«


Redemanuskript | Es gilt das gesprochene Wort.